Baby Insights (1) – Warum Eltern ihr Baby lieben

Was früher das iPhone, etwas später das Fitbit und letztes Jahr noch der Vollbart war, ist dieses Jahr der Nachwuchs. Ja, Babys sind 2014 zum unabdingbaren Lifestyle-Accessoire geworden ((Ich warte geradezu nur mehr auf die Vox-Dokusoap „Wer hat das süßeste Baby“ mit launigen Kommentaren von der Seitenlinie von Guido Maria Kretschmer.)). Anders kann ich mir den aktuellen Mini-Babyboom in Österreich nicht erklären.

Allerhöchste Zeit also, dass ich einige unschätzbare Weisheiten niederschreibe, die dem geneigten Leser, der dem aktuellen Trend folgen will ((Zumindest erscheint es mir so, wie wenn ein jeder um mich herum gerade dem Trend folgen möchte. Meine Weisheiten sollten also auf große Nachfrage stoßen. Oder so.)), enorm weiter helfen werden. In Monaten der harten Prüfungen und des Dienstes direkt an der Babyfront konnte ich ein paar wertvolle Baby-Erkenntnisse zusammentragen, die ich an dieser Stelle hinterlassen möchte. Die erste folgt:

Gemeinhin, vor allem bei der weiblichen Bevölkerungshälfte, ist unbestritten, dass Babys liebenswert sind. Man kann ein Baby einfach nicht nicht gern haben. Die Ausnahme von dieser Regel sind fremde, laute Babys in Restaurants, aber dieser statistische Ausreißer kann für meine These vernachlässigt werden. Woher kommt aber dieses unausweichliche „Lieb-Haben“ eines Babys, zweifellos am allerstärksten ausgeprägt bei den eigenen?  Eine Zuneigung, die mit steigendem Alter des Nachwuchses sogar noch wächst, so unmöglich dies am Anfang auch noch scheinen mag?

Nun, die Erklärung hierfür hat nichts mit geheimnisvollen Phero- oder Hormonen zu tun, auch nichts mit evolutionären Notwendigkeiten oder banalen Äußerlichkeiten wie dem Kindchenschema. Ganz im Gegenteil.

So ein Baby ist eine enorme Investition, sowohl an Geld als auch an Zeit. Allerdings eine recht problematische, denn einerseits ist am Anfang nicht klar, ob die Auszahlung am Ende den eigenen Vorstellungen entspricht. Und andererseits ist die Laufzeit eine recht hohe, üblicherweise mindestens 18 Jahre. Bei Bumerang-Kindern auch gerne mal erheblich länger.

Sobald man aber einmal mit ihr begonnen hat, ist ein Ausstieg aus dieser Investition nicht mehr möglich ((Fast so unmöglich wie bei einer Lebensversicherung.)). Folglich muss man laufend und ununterbrochen mehr und mehr in sie hinein stecken und irgendwie mit der kargen Kupon-Verzinsung und/oder der spärlichen Auszahlung von Dividenden über die Runden kommen.

Das perfideste Merkmal dieser Investition ist aber: Man erkennt die ganze Tragweite erst im Laufe der ersten durchwachten Nacht. Und da ist es dann, wie schon erwähnt, zu spät. Also versucht man – ganz unbewusst – sich selbst die eigene, bereits getroffene Investitionsentscheidung im Nachhinein zu erklären und sie zu rationalisieren. Allerdings mag dies dem vernünftig denkenden Mensch nicht recht gelingen, etwas das – allgemein gesehen – zur Erhaltung der Spezies dann doch eher wenig beitragen würde.

Deswegen hat das Unterbewusstsein etwas ganz Kluges eingerichtet: Man beginnt unmittelbar den eigenen Nachwuchs gern zu haben. Ziemlich viel sogar, mit laufend steigender Tendenz. So viel, dass jener kritische Teil des Gehirns, der diese verrückte, lebenslange Investition hinterfragen will, plötzlich ganz leise wird.

Kommt ein neues Biedermeier?

Nicht akute Schreibfaulheit oder gar chronische Inspirationslosigkeit hat Schuld, dass ich schon so lange keinen neuen Beitrag mehr getippt habe. Mitnichten!

Grund ist viel mehr eine altbekannte, neu aufflammende gesellschaftliche Strömung, derer auch ich mich beim besten Willen nicht verschließen kann und die mich ganz unbewusst weg aus der kritischen Öffentlichkeit des Interwebs heim ins private Idyll zieht:

Oh ja, ich glaube, wir haben ein neues Biedermeier. Oder sind zumindest gerade dabei, in eines hinein zu schlittern.

Bevor nun der geschichtlich versierte, sich aber trotzdem als modern und aufgeklärt empfindende Leser die Nase rümpft und verächtlich diesen Tab schließt, erlaube er mir eine gar nicht so kurze Listung interessanter Parallelen zwischen dem originalen Biedermair (1815 – 1848) und 2014:

Zensur

Im Geschichtsunterricht lernt man vom Biedermeier vor allem, dass es eine Zeit der strikten Zensur, der Überwachung und des Spitzelwesens war, ganz besonders in Österreich unter dem berühmt-berüchtigten Fürsten Metternich.

Man muss schon sehr die Augen verschließen, um nicht zu merken, dass es heutzutage eine vergleichbare Tendenz der zunehmenden Überwachung und Bevormundung durch den Staat gibt: Einerseits – wie auch schon früher – mithilfe des vorgeschobenen Totschlagarguments „Sicherheit“, andererseits aber auch viel perfider zum scheinbaren Schutz von Urheberrechten und veralteten Geschäftsmodellen.

Rückzug ins traute Eigenheim

im 19. Jahrhundert, ganz besonders im Biedermeier, waren Handarbeiten die Hauptbeschäftigung für Frauen des Bürgertums. Jeder, der schon mal eine jener bunt gemischten Strickrunden in Kaffeehäusern gesehen hat, kann gewisse Parallelen zur Gegenwart nicht leugnen. Eigentlich scheint es heutzutage sogar noch viel schlimmer zu sein.

Daneben erlebt auch die Heimwerkerei einen ganz enormen Aufschwung. Irgendwie scheint ein jeder gerade irgendetwas zu seinem Projekt machen zu wollen. Nicht zuletzt die schier zahllosen Hausbau- und -renoviershows im Fernsehen zeigen ganz klar: Das traute Eigenheim ist gerade wieder groß im Kurs.

Und das Fernsehen zeigt auch gleich noch einen zusätzlichen Trend auf, der den Schwerpunkt auf die Idylle der eigenen vier Wände legt: Koch-Shows. Generell gilt es ja schon fast als verpönt, etwas nicht selbst gemacht zu haben.

Prüderie

Geradezu legendär war das spröde Wiener Bürgertum des Biedermeier, das nach außen hin den moralischen Zeigefinger hob, auf dunklen Hinterhöfen aber der Prostitution zu neuen geschäftlichen Höhenflügen verhalf.

Und im „aufgeklärten“ 2014? Gerade jetzt erst hat Großbritannien eine ganze Reihe von Praktiken in der Pornografie verboten. Und auch bei uns rutscht Prostitution immer mehr ins illegale Zwielicht ab und die Ideale der freien Sexualität der 68er liegen scheinbar gar noch länger als das Biedermeier zurück.

Klimaprobleme

Was 1815 ein Vulkanausbruch mit folgender, extremer Klimaabkühlung war, ist heute die Klimaerwärmung. Gab es damals keinen Sommer, scheint diesmal der Winter auszubleiben (der geneigte Leser verzeihe mir dieses billige Witzchen).

Damals wie heute aber sicher mit ein Grund für die um sich greifende, ständig steigende Unsicherheit und des darauf folgenden unwillkürlichen Rückzugs aus der öffentlichen Gesellschaft.

Und am Ende : Revolution

Das originale Biedermeier hat mit einer ganzen Menge Revolutionen geendet. Die haben zwar nichts in jenem Umfang geändert, wie von den Revolutionären damals erhofft wurde, aber zumindest die Saat für die großen Umschwünge des 20. Jahrhunderts gelegt.

Man darf also gespannt sein, wie es im beschützten, noch von Unruhen verschonten Mitteleuropa weiter gehen wird. Es wäre aber sicher nicht das erste Mal, dass sich die Geschichte wiederholt …