Es folgt eine erneute Anekdote aus St. Johann am Wimberg (besser bekannt unter dem Namen Saint Jones – noch einmal möchte ich auf den exzellenten Artikel eines meiner Ghostwriter aufmerksam machen), selber miterlebt und nach bestem Wissen und Gewissen für die Nachwelt aufbereitet. Der Eintrag ist übrigens M. W. (auf dessen Pflichtenheft ich warte) gewidmet:
Gestern haben wir (Günsl, Katrin, Sabine und meine Wenigkeit) die spontane Entscheidung getroffen, dem Saint Jonesinger Szenelokal „Jacks“ einen Besuch abzustatten. Zu unserer nicht geringen Überraschung stellte sich gleich heraus, dass die Lokalität vollkommen aus- und überbucht war, wir mussten mit dem angrenzenden und dazugehörigen Wirtshaus „Bachleitner“ vorlieb nehmen. Trotzdem war uns dies nicht unlieb, weil der Abend ein netter in urigster mühlviertlerischer Wirtshausatmosphäre zu werden versprach.
Um neun trudelten wir also ein, und besetzten gleich einen Tisch neben dem Wirtshaus Stammtisch, auf dem bereits einigen Gestalten die Köpfe schwer wurden. Ungerührt davon bestellten wir unser Essen, und waren mehr als überrascht als plötzlich einer dieser südländischen Rosenverkäufer ins Wirtshaus trat (Einen Rosenverkäufer in Saint Jones anzutreffen hätte wohl niemand erwartet). Eine der Gestalten vom Nachbarstammtisch wurde hellhörig, und wollte der bezaubernden Katrin eine Rose verschaffen. Er war nur zu geizig, den einen Euro zu berappen, und versuchte Günsl zu überreden, seiner Freundin eine Rose zu kaufen. Der lehnte (natürlich) ab, aber der erwähnte Stammtischler schaffte es, einen ominösen Deal mit dem Rosenverkäufer abzuschließen, sodass Katrin doch noch zu ihrer Rose kam – sehr zum Missfallen von Günsl, der sich plötzlich nicht zu unterschätzender, schwergewichtiger und ungepflegter Konkurrenz gegenüber sah.
Inzwischen wurde aber unser Essen aufgetischt, meine Gemüse-Rahm-Nudeln waren wirklich ausgezeichnet (das Essen im Jacks ist überhaupt sehr gut und empfehlenswert) und schnell verputzt. Katrin kämpfte mit ihrer Pizza Provinziale, und bot den Rest zuerst uns, und dann ihrem neuen Verehrer vom Nachbartisch als kleines Dankeschön an, der sich mächtig freute (sobald festgestellt war, dass er nichts zu zahlen hatte).
Um der Wirtshausatmosphäre gerecht zu werden, fragten wir nach Spielkarten und spielten ein paar Runden das weithin bekannte Topspiel „Grea Bua“, ein Spiel (vermutlich Spiel des Jahres 1768 oder so) das nach höchster Konzentration und Intelligenz verlangt. Günsl wurde übrigens, wie erwartet und angekündigt, von mir deklassiert. Katrins Verehrer stand derweil neben unserem Tisch, und irgendwie geschah es, dass er zum Spielen eingeladen wurde – ein massiver Fehler, wie sich schnell herausstellte (nicht nur deswegen, dass er die simplen Regeln von „Grea Bua“ nicht verstehen konnte – ich werde in Kürze einen Eintrag mit den offiziellen Turnierregeln vorlegen). Der Wagner Martin (Foto am Ende des Eintrages), so der Name dieses umfangreichen Mitt-Vierzigers, stank nach Bier, spuckte ein bisschen beim Reden und war auch sonst kein sehr angenehmer Gesprächspartner. Aber wir amüsierten uns köstlich, erfuhren allerlei interessante Dinge und erzählten ihm Episoden aus unserem Leben als Saint Jonesinger Bauernkinder. Endlich schaffte die Wirtin es, Martin von uns weg an die Bar zu bugsieren, wo er sich zu einem Freund, Franz, stellte.
Franz (Foto ebenfalls am Ende des Eintrages), er geht wohl auf den Fünfziger zu, war noch viel betrunkener als Martin, trug eine Jogginghose und Holzschlappen (dafür hat er meinen Respekt), und drohte ständig umzukippen. Wir nannten ihn Stromberg, da er uns an jenen (in einer älteren, ungepflegteren Version) erinnerte. Als ihm ein Kupferling zu Boden fiel, und er unter viel Ächzen und Beinahe-Umfallen es schaffte, ihn wieder aufzuheben, rief das unseren Beifall hervor, was ihn sogleich dazu überredete, sich zu uns zu setzen. Er schien wesentlich schweigsamer zu sein als der gute Martin, zog aber ständig Grimassen und versuchte anscheinend, mit seiner Zunge die Nasenspitze zu berühren. Plötzlich, aus heiterem Himmel, erzählte er uns eine Geschichte aus seinem bestimmt ereignisreichen Leben: Vor zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren (so genau konnten wir das nicht mehr eruieren), trug es sich zu, dass Franz zusammen mit Little Willie, dem Saxophonisten der Untouchables (also damals, als die Untouchables noch ganz groß waren), und einer Flasche Jim Beam eine Nacht im Bett verbrachte. Er betonte aber mehrmals, dass Little Willie kein „Warmer“ sei und sowieso nichts passiert sei, ganz egal was die anderen sagen. Uns nahm diese Geschichte sehr mit, ungläubig ließen wir sie uns mehrmals erzählen und versuchten weitere Details in Erfahrung zu bringen. Viel mehr war aber nicht mehr aus Franz herauszubringen, und seine Geschichten dauerten immer sehr lange, da er zwischendurch ständig sein Gesicht aufs Obskurste verzog und seine Zunge zu wahren Meisterleistungen herausforderte. Obwohl ich ihn mehrmals darauf hinwies, dass Rauchen die Haare ausfallen lässt (siehe Foto), ließ er sich nicht davon abbringen.
Unerwartet war auch Martin wieder an unserem Tisch und versuchte Franz von demselbigen weg zu bringen. Er schaffte es sogar, kam aber selber nicht mehr auf Idee, auch wieder zu verschwinden und so drehte sich unser Gespräch (wir waren inzwischen auf die ihm entfernte Seite des Tisches gerückt) um a) Sein Puff in Graz, b) sein Jura Studium, c) seinen Bauernhof, d) dass ganz Saint Jones ihm gehört, und e) seine Traktoren (in dieser Reihenfolge), sowie einige kleinere, unwichtigere Themen. Unter anderem erfuhren wir auch, dass Einstein Junior die Glühbirne und, noch wichtiger, die km/h erfunden hat. Selbiger hat auch die Theorie aufgestellt, dass man sich nicht schneller als 200 km/h bewegen kann, was Martin wohl selber mit seinen vielen Traktoren ausprobiert hat.
Obwohl wir uns köstlich amüsierten, wurde Martin allmählich immer unfreundlicher, begann schließlich Günsl als Affe („Off“) zu titulieren und uns alle ein-, zweimal als Arschlöcher – wahrscheinlich war er irritiert über unser andauerndes Amüsement. Um der zunehmend aggressiven Atmosphäre zu entfliehen, bezahlten wir (es war ungefähr halb zwölf) und verließen Saint Jones, nicht jedoch ohne vorher das legendäre, bekanntermaßen sehr liberale Waffengeschäft „Hofer Waffen“ zu besichtigen, in dessen Schaufenster einiges an Feuerwaffen zu bestaunen war (unter anderem auch ein Gutschein für Waffen – man stelle sich die Freude vor, die ein solcher unter dem Weihnachtsbaum anrichten kann).
Günsl hat mit seinem Handy (der geneigte Leser und die bezaubernde Leserin entschuldigen die schlechte Qualität) ein paar Fotos gemacht, als Beweis sozusagen, weil uns wohl niemand diese Geschichte glauben wird. Es folgen zuerst der Wagner Martin, und dann Franz (ja, genau, der Franz, der mit Little Willie, dem Saxophonisten der Untouchables, eine Nacht verbracht hat). Man beachte auch, wie Martin im Hintergrund des zweiten Fotos der netten, jungen Wirtin unverhohlen auf die Brüste starrt: