Die Budapest-Tagebücher – 5: Der Überfall

Im Folgenden erzähle ich detailliert die Erlebnisse meiner, oder besser unserer, Reise in die ungarische Hauptstadt, die nach nicht einmal 16 Stunden in Budapest abgebrochen werden musste. Der geneigte Leser kann versichert sein, dass ich alle Vorkommnisse wahrheitsgetreu wiedergebe und möge mir daher verzeihen, wenn der eine oder andere Abschnitt etwas gar langatmig geworden ist und die Budapest-Tagebücher sich über viele Einträge hinziehen. Ich glaube aber, dass es sich auszahlt, alles zu lesen …

Budapest, am 17. November 2007, von etwa 03:00 – 03:10 Uhr


Geliebtes Tagebuch,

wir wurden also von zwei Jungens, nennen wir sie A und B, auf offener, heller, breiter Straße angesprochen. Unschuldslämmer die wir sind dachten uns weiter nichts dabei und begannen, ungezwungen mit den beiden zu plaudern, denn wir wollten ja in die nächstbeste Bar und erhofften uns hierfür nähere Hinweise von zwei offensichtlich ortskundigen Herren – etwa fünf Minuten redeten wir so freundlich miteinander.

Ab hier, geliebtes Tagebuch, ging alles verteufelt schnell und ich kann mich nur mehr bruchstückhaft an die einzelnen Details erinnern, werde aber versuchen, dir, meinem kleinen Tagebuch, unsere Geschichte so gut wie möglich zu schildern: Plötzlich hatte A die Geldbörse von F. in Händen; er scheute es auch nicht, uns dies zu zeigen, wich aber ein paar Schritte zurück. Wir drei, F., C1. und ich, überlegten nicht lange und setzten ihm nach, meinte A auch immer nur breit grinsend "Just a joke guys, just a joke". Schnell hatten wir ihn und F. entwand ihm, ohne auf besonderen Widerstand zu stoßen, die Geldbörse. Aus den Augenwinkeln sah ich aber, dass A geschickt das Papiergeld aus dem Portmonee gefingert und auf die Straße geworfen hatte. Hastig nahm ich das Geld wieder auf und gab es an F. zurück, der gerade seine Geldbörse wieder bekommen hatte. Das Ganze hatte vielleicht 45 Sekunden gedauert und noch immer dachten wir uns nichts Böses dabei – teils wohl bedingt durch unseren Alkoholpegel, teils aber sicher auch deshalb, weil wir noch gar keine Zeit gehabt hatten, überhaupt nachzudenken.

Die hatten wir auch jetzt nicht: Plötzlich schlug A den vollkommen überraschten F. blitzschnell zu Boden; wie genau, konnte ich nicht erkennen, weil ich ihm gerade halb den Rücken zugedreht hatte – ich sah F. erst wieder, als er bereits vor Schmerzen gekrümmt am Boden lag. Jetzt wurde auch B aktiv, der bisher passiv ein paar Meter entfernt gestanden hatte; er trat zwischen F., C1. und mich, die wir beide etwa drei Meter von F. entfernt waren, denn natürlich wollten wir ihm sofort zu Hilfe kommen. C1. redete auf B ein, während wir versuchten, an ihm vorbei zu F. zu kommen: "Tell your friend to fucking stop!". Auf einmal, ich wusste gar nicht wie mir geschah, holte B mit seiner Rechten aus und verpasste mir einen mächtigen Schlag ins linke Unterkiefer.

Das überraschte mich vollkommen – ich spürte nur, wie ein gutes Stück meines linken oberen Weisheitszahns abbrach, spuckte dieses und einiges Blut aus und blickte ungläubig auf B, der nicht lange zögerte und mir noch einmal mit der Faust ins Gesicht schlug. Jetzt erst verstand ich die Situation und wich erschrocken einige Schritte zurück. Ich sah C1., wie er sich mutig und unter Gebrüll ("I will kill you!") auf B stürzte, der aber kaum Mühe hatte, den Ansturm abzuwehren. Mir wurde klar, dass wir, auch wenn wir zu dritt waren, gegen diese beiden Profis keine Chance hatten und blickte mich nach Hilfe um: Ich sah noch, wie die Tür einer Snackbude, kaum  fünf Meter entfernt, gerade von innen geschlossen wurde und außerdem ein Taxi, das ebenfalls nur ein paar Meter entfernt am Straßenrand parkte. Darauf lief ich hastig zu und merkte gerade noch, dass der Taxifahrer das Beifahrerfenster hoch kurbelte und die Türen von innen versperrte. Verzweifelt klopfte ich an die Scheibe und rief ihm zu: "Please, call the police!", er blickte aber mich nur an und meinte unbeeindruckt: "No."

Daran änderten auch meine weiteren Bitten nichts, der Taxifahrer schaute mich nur kalt an und zuckte, fast schadenfroh wie mir schien, mit den Schultern, während ich hinter mir die Schreie von F. und C1. hörte. Ich konnte nicht glauben, was gerade passierte und überlegte fieberhaft, was ich nun weiter tun sollte – mein Schädel dröhnte noch immer von den beiden Schlägen, die ich abbekommen hatte und ich spürte den metallischen Geschmack von Blut im Mund. Da sah ich auf der anderen Straßenseite, gleich neben dem Haupteingang des Bahnhofs, eine Telefonzelle. Eilig stürzte ich hin, in der Hoffnung, dort irgendwo die Telefonnummer der ungarischen Polizei zu finden; das Innere und Äußere der Telefonzelle war aber nur von Graffiti übersäht.

Glücklicherweise fing mein Gehirn jetzt wieder halbwegs zu arbeiten an und ich entsann mich des Europanotrufes. Hastig wählte ich 112 auf meinem Handy, vertippte mich ein paar Mal und kam endlich nach einigen Sekunden Getute an einen Ungarn, der mich nach meinem atemlosen "Do you speak English?" und einigen weiteren kostbaren Sekunden an einen englisch sprechenden Kollegen übergab. Fieberhaft erklärte ich dem, dass wir gerade in diesem Moment überfallen wurden. Unbeeindruckt wollte der Notrufmensch wissen, wo ich mich gerade befand – ich konnte ihm, nach einigen gehetzt suchenden Blicken nach Straßenschildern aber nur "At the train station" sagen, was er kühl mit einem "Budapest has three train stations" quittierte. Währenddessen hörte ich 30 Meter hinter mir noch immer F. schreien …

7 Gedanken zu „Die Budapest-Tagebücher – 5: Der Überfall“

  1. Alter Verwalter! Da ich Monarchist bin, bin ich ja ein Freund Ungarns. Nachdem ich diese Zeilen gelesen habe hat Ungarn nun in meinem Herzen den Stellenwert Italiens eingenommen. Shame on Ungarn!

  2. das klingt ziemlich heftig – wieviel Kohle haben sie euch abgeknöpft oder konnte F. das von dir eingesammelte Geld schnell genug einstecken.
    Was war eigentlich das Ziel des Ungarn Ausfluges? Der Bordellbesuch kann es nicht gewesen sein, das ginge ja in Linz auch. Siehe aktuelle Plakatwerbung: "zimmer ohne frühstück", die in ganz Linz angeklebt ist.

  3. Der Besuch diente intensiever Nachforschung, ob die alte Monarchie wieder eingeführt werden sollte. Auswahlkriterien auf der Reise sollten das billige Bier, die zahlreichen Sehenswürdigkeiten und das billige Bier sein.

    Außerdem warn ma natürlich noch auf Talentsuche fürn Hicki / leider ohne Erfolg …

    Seit diesem Ausflug verstehe ich die Notwendigkeit der Grenzüberwachung durch das Bundesheer! Von mir aus können die schon mal die Panzer auffahren lassen –> die Eurofighter folgen sobald die K-Munition angebracht ist und sie flugtauglich sind!

  4. Für den nächsten Ausflug schlage ich Warschau vor, dort ist das Bier wirklich billig, außerdem trinkt man prinzipiell zu jedem Wodka (der in Relation zu Bier noch viel billiger ist) ein Bier und alle Frauen schauen aus wie Nutten, ist dann quasi all in;)
    Trotz meiner 12,7 Promille bin ich nicht überfallen, vergewaltigt oder gar umgebracht worden… Polen sind scheinbar nur ausserhalb der Landesgrenzen an Autos etc. interessiert;)

  5. Nachtrag In Warschau bin ich dann als quasi ortskundige dabei (no polska, aber mit Englisch kommt man dort auch nicht weit), weil alleine kann frau Euch ja nirgends hinschicken, das nächste Mal kommt nimma mitn Leben davon!

  6. Nachtrag / Das Reiseziel für nächstes Jahr wird kurzfristig festgelegt und befindet sich im Herzen Europas. Lange ausgibige Wanderungen sowie faul in der Sonne liegen sind dafür vorgesehen … / weit weg von Großstadtlärm, billigen Spelunken und …

  7. oida, wilde Geschichte! Der hilfsbereite Taxler schockiert mich außerdem (die ganze verdroschen-werden-Geschichte sowieso)

    Gut dass ihr alle gesund (?) zurückgekommen seid!