Die Budapest-Tagebücher – 7: In ungarischer Staatsgewalt

Im Folgenden erzähle ich detailliert die Erlebnisse meiner, oder besser unserer, Reise in die ungarische Hauptstadt, die nach nicht einmal 16 Stunden in Budapest abgebrochen werden musste. Der geneigte Leser kann versichert sein, dass ich alle Vorkommnisse wahrheitsgetreu wiedergebe und möge mir daher verzeihen, wenn der eine oder andere Abschnitt etwas gar langatmig geworden ist und die Budapest-Tagebücher sich über viele Einträge hinziehen. Ich glaube aber, dass es sich auszahlt, alles zu lesen …

Budapest, am 17. November 2007, von etwa 03:45 – 08:00 Uhr


Geliebtes Tagebuch,

die Fahrt zum Polizeiposten ging ziemlich schnell, denn, du erinnerst dich, mein geliebtes kleines Tagebuch, der war nur ein paar Straßenblöcke entfernt. Drinnen angekommen wurden J. und ich wortlos von den beiden uns begleitenden Polizisten verlassen und setzten uns in die Sessel, die in der ungemütlichen, kalten Eingangshalle um einen niedrigen Tisch verteilt waren. Mein Begleiter spendierte mir einen Kaffee nach dem anderen aus dem nebenstehenden Automaten, denn mit meinem verbliebenen 10.000-Forinth-Schein kam ich bei dem nicht allzu gut an. Wir plauderten ein bisschen – ich erfuhr, dass J. ein "Programer for Access and SQL Server" war, die meiste Zeit saßen wir aber schweigend und müde herum und nippten an unserem schalen Automatenkaffee.

Schließlich fing J. erneut zu telefonieren an und er erklärte mir anschließend, dass er seine Freundin angerufen habe, die ziemlich gut Englisch und Deutsch könne. Trotz der nachtschlafenen Stunde traf die Dame schnell bei uns am Polizeiposten ein – jetzt warteten wir also zu dritt auf das, was mich erwarten würde. Mehrmals dankte ich J. für seine Hilfe und sagte ihm, dass er schon genug für uns getan habe, er müsse nicht jetzt auch noch mit mir warten, aber er meinte stets freundlich, er würde das mit mir durchhalten, worüber ich ehrlich gesagt sehr froh war. Um die Zeit totzuschlagen plauderten wir über so manche Belanglosigkeit und J. und seine Freundin entschuldigten sich im Namen der Ungarn für unsere Erlebnisse und versicherten mir, dass das absolut nicht typisch für Budapest sei; sie boten mir an, bei meinem nächsten Besuch in Ungarn bei ihnen bleiben zu können um die schönen Seiten der Stadt kennen zu lernen. Die Freundlichkeit der zwei verbesserte tatsächlich meine Meinung über die Menschen im Allgemeinen und die Ungarn im Besonderen – wir tauschten E-Mail-Adressen aus und ich lud sie nach Österreich und Linz ein.

Schließlich, wir warteten wohl schon fast eine Stunde, kam endlich ein verschlafener, übergewichtiger, übelriechender Dolmetscher in die Eingangshalle und übertrug gleich an Ort und Stelle meine Geschichte auf Papier. Das dauerte seine Zeit, denn die Deutschkenntnisse des Herrn ließen etwas zu wünschen übrig und auch die Personenbeschreibung gestaltete sich sehr schwierig, weil ich mich kaum noch an die beiden Übeltäter erinnern konnte. Die Freundin von J. hörte unsere Erlebnisse jetzt zum ersten Mal und schüttelte immer wieder bestürzt und ungläubig den Kopf. Mittlerweile trafen auch F. und C1. in Polizeibegleitung bei uns ein, die beide zwar nicht mehr blutig waren, aber im Gesicht mächtig geschwollen, stolz ihre Röntgenbilder präsentierten und sich über die miese Betreuung im Krankenhaus beklagten – zum Glück war aber keiner der beiden ernsthaft verletzt. Der Dolmetscher verschwand daraufhin schnaufend mit F. und ließ uns übrigen vier allein in der Eingangshalle zurück.

J. unterhielt sich kurz mit seiner Freundin, woraufhin auch die sich kurz entfernte und etwa zwanzig Minuten später mit einer Thermoskanne Kaffee, Mineralwasser und einigen Sackerln Knabbereien zurück kam – sogar an eine Packung Tiefkühlgemüse für die Blessuren von F. hatte sie gedacht. "Lets make a party here" meinte sie, während sie ihre Mitbringsel auf dem Tisch ausbreitete; müde und dankbar nahmen C1. und ich die Bewirtung an. Nach etwa einer Dreiviertelstunde war das Verhör von F. beendet und er wurde durch C1. ersetzt, der ebenfalls lange mit dem Dolmetscher verschwand. Vollkommen frustriert über die ewige, nicht endenwollende Warterei wurden wir immer wortkarger und zählten jede Sekunde.

Endlich, es dürfte wohl so gegen 06:30 am Morgen gewesen sein, kam C1. zurück und ich fragte den Dolmetscher, ob wir jetzt endlich gehen dürften. "Bald", meinte der und deutete nun mir, ich solle ihm folgen, während F. und C1. zusammen mit J. und dessen Freundin in der Eingangshalle zurück blieben. Über einen wackligen kleinen Lift fuhren der schwitzende, stinkende Mann und ich ein paar Stockwerke nach oben und ich fand mich in einem kleinen, dreckigen, vollgeräumten Büro wieder, dass jedem Klischee über kommunistische Bürokratie entsprach. Ich wurde auf einen unbequemen kleinen Hocker gesetzt, während sich der Dolmetscher unter Ächzen in einen schmutzigen Couchsessel quetschte, der zwischen Stahlschränken eingezwängt in einer Ecke stand. Hinter einem klitzekleinen Monitor saß ein junger Polizeibeamter in Zivil, der gemütlich im Einfingersystem meine frühere Aussage, die ihm der Dolmetscher diktierte, eintippte. Hin und wieder gab es eine ungarische Rückfrage, die dann für mich übersetzt wurde und die ich nach bestem Wissen und Gewissen beantwortete. Die Minuten verrannen zäh und ich schlief fast auf meinem lehnenlosen Sesselchen ein, bis sich nach Stunden, wie mir schien, der Dolmetscher schnaufend wieder erhob, einen Stoß Zettel aus dem Drucker nahm und mir etwa zwanzig (keine Übertreibung) Unterschriften entlockte. Mehrmals musste ich auch auf Deutsch "Ich habe verstanden" hinschreiben – erst nach mehrmaligem Nachfragen wurde mir erklärt, was ich da überhaupt unterzeichnete. Danach fuhren wir mit dem Lift wieder nach unten, wo noch immer meine vier Begleiter warteten und F. kläglich und mit fast erlöschter Hoffnung fragte: "Dürfen wir jetzt endlich gehen?"

"Bald", meinte der Dolmetscher und verschwand kurz im Nebenraum, nur um gleich wieder zurückzukommen, sein Köfferchen zu öffnen und darin herumzukramen; "Er wird nach Stunden bezahlt", raunte mir die Freundin von J. zu. Unendlich frustriert und gereizt tigerten wir wie eingesperrte Raubtiere auf und ab, bis wir endlich, endlich gehen durften – der Dolmetscher versicherte uns noch einmal, dass ein solch brutaler Überfall äußerst ungewöhnlich sei und verabschiedete uns. J. und seine Freundin begleiteten uns jetzt noch auf dem Fußweg zurück ins Hotel – worüber F., C1. und ich erneut sehr froh waren, denn von uns hätte keiner den Weg gewusst. Es war wohl so gegen 08:00 bis wir endlich an unserem Ziel eintrafen, uns über alles dankbar von diesen beiden guten Menschen verabschiedeten und todmüde ins Bett fielen.

Zur Mittagszeit standen wir wieder auf, weckten S., G. und C2., schilderten ausführlich unsere unglaublichen Erlebnisse, aßen einen Happen bei McDonalds und verließen auf schnellstem Weg das Hotel und das Land.

2 Gedanken zu „Die Budapest-Tagebücher – 7: In ungarischer Staatsgewalt“

  1. da muss ich wohl bei nächster gelegenheit ein bier auf j. und seine freundin trinken! es gibt halt wirklich gute menschen + gut für euch, dass ihr welche getroffen habt.

    @die anderen: shame on hungary again. und sowas hat mal zu uns gehört…

  2. Jo. Selten so hilfsbereite, freundliche Menschen getroffen. Da kommt man ins Grübeln, ob man selber das Gleiche getan hätte – bis vor zwei Woche ziemlich sicher nicht.