Sogar mich bekennenden Facebook-Jünger stimmt die tsunamiartige Geschwindigkeit, mit denen sich die Facebook-Like-Buttons allgegenwärtig auf gefühlt jeder Seite des Internets einnisten, langsam bedenklich.
Klar, da ist erstmal das enorme Datenschutzproblem, mit dem sich vielleicht höchstens noch ein Google Analytics messen könnte. Und, Hand aufs Herz, es ist schlimm genug, wenn Google jede Seite kennt, die ich so Tag für Tag besuche, aber Facebook spielt datenschutz- und vertrauenstechnisch doch noch in einer ganz anderen Liga, irgendwo dort unten bei Apple und Sony.
Nun, immerhin könnte man dies mit allerlei nützlichen Browser-Extensions blockieren – etwas, das ich aus Angst, was zu verpassen, natürlich aber auch nicht mache.
Viel schlimmer ist jedoch der psychologische Effekt: Zusätzlich zum „Friend“-Zwang1 ist jetzt auch noch der „Like“-Zwang gekommen. Anstrengend genug, dass man, um zwischenmenschliche Spannungen zu vermeiden, mindestens zu jedem zweiten Statusupdate direkt auf Facebook einen Kommentar oder wenigstens ein „Like“ abgeben muss. Wenn man das aber zukünftig auch noch auf jeder Website, jedem Blog, zu jedem Foto machen soll …
Hinter einem pfiffigen Kommentar steckt zumindest ein bisschen Hirnschmalz und mehrere Sekunden Aufwand. Ein Klick auf „Like“ passiert fast automatisch, ohne darüber nachzudenken und auch mal ohne überhaupt etwas besonders zu mögen.
Here to stay
Ach ja, ich schreibe diese Zeilen in vollem Bewusstsein, dass unter diesem Eintrag ebenfalls ein dicker „Like“-Button protzt. Die Mächtigkeit dieses Social-Marketing-Tools kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, und ich freu mich ja auch wie verrückt über jeden der spärlichen „Likes“, die ich bekomme. Als Content-Konsument finde ich es trotzdem bedenklich und anstrengend.
Und es ist mir ebenfalls bekannt, dass mittlerweile auch Google und Amazon auf den Zug aufgesprungen sind. Der Trend scheint also gekommen zu sein, um zu bleiben.
Put your money where your mouth is
Das Problem ist, dass ein „Like“ so einfach geht. Es steckt halt nix dahinter und ist genau so wenig wert wie eine vierstellige Facebook-Freundesliste. Das macht die inflationäre Verwendung so mühe- und jeden Klick wert- und belanglos (von der verrückten Freude für den Gemochten, siehe oben, mal abgesehen).
Ich sehe aber ein Lichtlein am Horizont: Vor so ungefähr einem Jahr wurde von ehemaligen Piratebay-Betreibern Flattr gegründet; ein Dienst, den ich sehr schätze und von Anfang an nutze, in den letzten Monaten fast täglich. Und ich bin nach anfänglicher Skepsis mittlerweile überzeugt, dass die Idee dahinter hervorragend ist.
Was macht Flattr? Über einen eingebundenen Button (das Datenschutzproblem bleibt also leider bestehen) kann man sein Wohlgefallen über etwas ausdrücken, indem man freiwillig einen minimalen Geldbetrag bezahlt – ich habe absichtlich nicht „spendet“ geschrieben.
Das wäre an sich nix Neues, das geht etwa über PayPal eh schon seit Jahren. Flattr hat aber einen besonderen Kniff dahinter.
Man definiert nämlich einen fixen monatlichen Betrag (ab zwei Euro aufwärts), mit dem man bezahlt. Dieser wird dann gleichmäßig auf jeden Klick aufgeteilt. Das heißt, wenn man im Monat zwei Euro zur Verfügung stellt und zehn Mal „Flattr this“ klickt, ist jeder Klick 20 Cent wert. Man hat damit die angenehme Sicherheit, nicht versehentlich über die eigenen finanziellen Möglichkeiten zu rutschen.
Jetzt ist für die allermeisten Content-Erzeuger damit natürlich nicht das große Geld zu machen (es gibt aber schon wohlbekannte Ausnahmen), aber ich glaube, darum geht es gar nicht. Man drückt stattdessen Wertschätzung aus, ein Klick auf „Like“ ist plötzlich wieder etwas wert, denn man bezahlt dafür. Und das ist im Gratis-Internet schon etwas Besonderes.
Swayed by a dream
Mein unerfüllbarer Wunsch wäre eine Kooperation zwischen Facebook und Flattr. Jeder Klick auf „Like“ soll etwas kosten. Nur ein paar Cent, klar, aber trotzdem. Und diese paar verdienten Nedsch kann man dann wie bei Flattr dazu benutzen, um selber ein paar „Likes“ auszuteilen. Oder man lässt sie sich ausbezahlen.
Das würde nicht nur den den gefühlten Wert eines „Like“ vervielfachen. Es würden sich Hunderte Millionen Facebooker (inklusive mir) auch bemühen, bessere, sinnvollere, interessantere, lustigere Statusupdates zu tippen. Und das wäre etwas, dass wohl sowieso mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen wäre.
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1 „Friend“-Zwang (Substantiv, maskulin): Starker gesellschaftlicher Druck, jeden Bimbo frienden2 zu müssen, der eine entsprechende Anfrage stellt. Wird versucht, eine Freundschaftsanfrage zu ignorieren, wird vom Antragsteller unter Umständen auch per persönlicher Nachricht urgiert, was die Situation dann auch noch unbehaglich machen kann.
2 Man verzeihe diesen und alle anderen Anglizismen. In Ermangelung einer brauchbar-kompakten deutschen Übersetzung bediene ich mich aber absichtlich des allseits bekannten englischen Wortes.
Mah, wie schön. Ein guter, eloquent formulierter Artikel dem ich sogar ausnahmsweise mal zustimme! 🙂
randominsights lebt.
Ach ja und: seitdem ich letztes Jahr Facebook von einem Tag auf den andern hinter mir gelassen hab, ist – die Spannung steigt – gar nix passiert. Wobei, gar nix stimmt nicht. Ich hab mehr Freizeit (gibt da nämlich noch sowas, das nennt sich ‚Bücher‘. Interessante kleine Dinger), ich hab meinen Freunden tatsächlich etwas zu erzählen, wenn ich sie treffe (kein Nerviges „*grins* Was i eh schau, hob i auf Facebook glesn“) und vice versa (was automatisch das gegenseitige Interesse und Sympathielevel steigert), ich geh auf die Uni und seh eine Demo vorübermarschieren OHNE zu wissen um was es dabei geht und was der merkwürdige Typ, der in der Germanistikübung 3 Reihen hinter mir sitzt, drüber denkt – und nein, meine Welt ist trotzdem noch nicht implodiert.
Also, so unvorstellbar es jedem regelmäßigen Facebook-User auch erscheinen mag: man kann cold turkey aufhörn. Ganz einfach. Und trotzdem geht das Leben ganz normal weiter, so wies damals, seinerzeit, VOR Facebook mal war 😉
*Vogelgezwitscher*
Schön, dass du noch da bist, JuMa 🙂
Ich lasse deinen Appell gegen Facebook unkommentiert, hauptsächlich weil ich nicht so recht dran glaube. Ich bedanke mich aber für das nette Lob am Anfang.
Du wirfst mir also vor, ich täte nur so und säße eigentlich den ganzen Tag da und verzehre mich nach Facebook?
yeah, no.
Oder meintest du das in Bezug auf dich – also dass _du_ es nicht schaffen würdest? 🙂
Das kann ich nicht so recht glauben, so wenig Selbstbeherrschung hast du dann ja auch wieder nicht. *g*
Zweiteres: Ich meinte, dass es ohne Facebook nicht ganz so rosig und nachteilslos ist, wie du beschreibst. Würd ich nicht aushalten, wenn ich nicht nebenbei mitkriegen würde, auf welchen Events meine Freunde so rumhängen.
stalker-alert !
*awkward*
Aber ja, _das_ is mir mittlerweile voll egal. Wenn was Cooles ist, kriegt mans eh gesagt und kann mitgehn und wenn dem nicht so ist, sind mir diese ‚Events‘ (ich nenns ja lieber Veranstaltungen *hustAnglizismenhust*) eigentlich ziemlich blunzn – und auch ob ich seh, ob irgendwer Bekannter dort ist. Und dann immer diese „mein Leben/meine Freunde ist/sind ja soooviel aufregender/cooler/sophisticateteteder(?) als deine/s“-Fotos.
blärgh.
http://www.youtube.com/watch?v=ft6FMd2p2Jw&feature=player_embedded#at
=) =)
Grundsätzlich und theoretisch geb ich dir recht, JuMa.
Aber praktisch, und das weiß ich aus meinen Facebook-Abstinenz-Selbstversuchen, ist im eigenen Leben Event-mäßig viel weniger los, weil man eben nicht alles „auch sonst irgendwie“ mitbekommt. Und sinds nur irgendwelche Unifestln oä. auf die man sonst vergessen würde.
vielleicht bin ich einfach nicht mehr so cool (aka I’m OLD) um mich für das ganze Fortgeh-Trara zu interessieren *ups*
I don’t care. Like, at all.
… andere meinen es wiederum zu ernst mit dem Like-Button:
http://derstandard.at/1304552043320/Skurril-Eltern-nennen-Kind-nach-Like-Button