Jeder geneigte Leser, der etwas freie Zeit bei der Hand hat, sollte sein Wissen über Edward Bernays auffrischen, etwa entweder per Wikipedia, via Podcasts (oder hier) oder mit der preisgekrönten Dokumentation von Adam Curtis.
Kurz zusammengefasst für diejenigen ohne Zeit: Bernays, ein Neffe Freuds, war der Erfinder von PR (früher gerne auch Propaganda genannt) und ein Meister der Manipulation der Massen. Ihm ist es zu verdanken, dass die Industrie begonnen hat, Bedürfnisse zu erzeugen, statt sie nur zu erfüllen. Er kam auf die Idee, Rauchen mit „cool“ und „Freiheit“ zu verknüpfen, oder Autos mit Männlichkeit. Er hat mindestens eine CIA-gestützte Revolution in Mittelamerika bewirkt und es heißt, dass seine Bücher am Nachtkästchen von Goebbels gelegen haben sollen.
Mich hat die unglaubliche Effizienz und methodische Zielstrebigkeit – nicht zuletzt heißt Bernays‘ wichtigstes Buch „The Engineering of Consent“ – dieser Massenbeeinflussung ziemlich schockiert. Im Prinzip kam da ein Auftraggeber auf Bernays zu, beispielsweise die Tabakindustrie mit dem Wunsch „Wir möchten, dass Frauen mehr rauchen“ – und der hat kurzerhand mit ein paar gut durchdachten PR-Aktionen die Gesellschaft umgekrempelt um genau das zu erreichen. Und das hat wahnsinnig gut funktioniert.
Wie es sein kann, dass eine an sich demokratische, reife Gesellschaft so irre zielgerichtet manipuliert werden kann, dass sie unbewusst alles will und tut, was von ihr „gefordert“ wird, kann ich mir nicht erklären. Dass es aber ganz ohne Zweifel funktioniert, hat die Geschichte der letzten hundert Jahre oft genug gezeigt. Von Bernays‘ erfolgreichen Werbekampagnen bis hin zum Dritten Reich.
Ich bin auch überzeugt davon, dass dies noch immer passiert. Also dass Manipulation und Propaganda PR nicht nur im „kleinen“ Maßstab in der alltäglichen Werbung stattfindet, sondern wir auch in richtig großem Umfang gesteuert werden. Auch (vor allem?) jene Menschen, die glauben, dass sie klüger seien als alle anderen und die sich gerne über die „Dummen“ lustig machen, die auf die ewig gleichen, platten, unhaltbaren Versprechen unserer Politiker hereinfallen. Wir werden manipuliert, und zwar vermutlich sogar in dem guten Glauben, dass dies zu unserem eigenen Besten geschieht.
Deswegen ist unsere Welt auch so schön einfach und klar strukturiert aufgebaut. Es gibt „die Guten“ (beispielsweise den Westen, also uns, und gewisse Konzerne und Organisationen) und „die Bösen“ (etwa den Iran, Nordkorea, aber auch wieder gewisse Konzerne und Organisationen). Was aber, wenn dieses wunderbare Weltbild, an dem wir uns gut festhalten und abstützen können, gar nicht so mühelos und unproblematisch ist? Wenn wir bloß einem genial inszenierten PR-Coup aufsitzen, der uns nach dem Motto „Weitermachen, hier gibt es nichts zu sehen“ beruhigen soll?
Wenn Nordkorea beispielsweise gar nicht die unerträgliche Hölle auf Erden wäre, wie wir glauben? Wenn es dort zwar keine iPhones und McDonalds gibt, aber eine nichtsdestotrotz funktionierende, halbwegs zufriedene Gesellschaft? Und uns der Glaube an das zurückgebliebene, unmenschliche Nordkorea nur eingepflanzt wurde?
Nur um das klar zu stellen: Ich glaube mitnichten, dass Nordkorea das sozialistische Paradies ist; ich glaube, dass die Menschen dort hungern müssen und ausgebeutet werden, während sich ein paar eklige Eliten mit teuer importierten Süßigkeiten die Bäuche vollschlagen. Ich behaupte gar nicht, dass alles, was wir über Nordkorea wissen, eine Illusion ist – das arme Ländchen muss nur als Beispiel herhalten. In der Tradition der besten Verschwörungstheoretiker geht es mir bloß darum, eine Frage aufzuwerfen: Was wäre, wenn? Was wäre, wenn alles, was wir über Nordkorea zu wissen glauben, eine wohl inszenierte Lüge ist?
Das wäre – wie es bei solch wunderbar zurecht gelegten Beispielen immer der Fall ist – am Exempel Nordkoreas sogar ziemlich einfach, denn das Land ist recht gut abgeschottet: Ein paar Agenten, die als „Journalisten“ durch das Land reisen und wieder daheim angekommen die unerträglichen Zustände beschreiben. Ein paar Schauspieler, die als „Flüchtlinge“ unter Tränen von unmenschlichen Arbeitslagern und Hungersnöten wie im Mittelalter erzählen. Fertig ist das fremdgesteuerte Weltbild; und eine ganze Generation hasst Nordkorea.
„Unmöglich“, wird jetzt der geneigte Leser rufen, „unmöglich, wir sind ja aufgeklärt, wir haben unabhängige Medien, wir haben Fernsehen und Radio und Bücher und Zeitungen. Niemand würde mit so einem wackligen Lügenkonstrukt durchkommen!“ Wahrscheinlich hat der geneigte Leser sogar recht.
Einwenden möchten ich aber: Das allen hatten wir auch vor dreißig oder fünfzig Jahren schon, und da standen wir vor einer ganz ähnlichen Situation: Im kalten Krieg war das Weltbild sogar noch einfacher als jetzt. Es gab den guten Westen, der in ständiger Angst vor dem bösen Osten zitterte, und dauernd mit der unverständlichen, grausamen, menschenverachtenden Willkür der verrückten Sowjet-Führer leben musste. Jeden Tag mussten wir ehrlichen Westler uns vor den fremden Panzern und Atombomben fürchten, die uns ohne Mitleid beim kleinsten Zeichen von Schwäche auslöschen würden.
Dass schöne an zumindest dieser Geschichte ist, dass wir mittlerweile wissen, dass das alles eine klassische Propaganda-Lüge war. Wir, der Westen, waren mitnichten die Guten, im besten Fall waren wir genau so wenig gut wie die andere Seite. Deren Bevölkerung im Übrigen genau so belogen wurde und sich ständig vor der unaufhaltsamen Geldgier des kapitalistisch-imperialistischen Westen ängstigen musste. Wie es wirklich war? Schwer zu sagen; eines meines Lieblingszitate, „die Geschichte wird immer vom Sieger geschrieben“, passt auch hier und verzerrt das Bild.
Ich glaube also nicht an das Argument, dass uns das nicht wieder passieren kann und wir als moderne, aufgeklärte Gesellschaft über solchen Manipulationsversuchen stehen – zu oft hat die Geschichte das Gegenteil bewiesen. Wie spricht wohl die syrische Bevölkerung über den eigenen Bürgerkrieg? Sehen die Menschen in Damaskus die Rebellen als Befreier vor einem teuflischen Regime oder eher als brutale Terroristen? Teilen sie unser ach so klares Weltbild von den „guten Rebellen“ und dem „bösen, machthungrigen Assad“? Wenn nicht, ist ihr Bild von Welt vielleicht manipuliert? Oder unseres? Oder beide?
Eigentlich möchte ich nur die Frage „Was wäre, wenn?“ stellen und ein bisschen zum Grübeln auffordern. Und vorher unbedingt zum Lesen oder Hören über Edward Bernays und den anderen Meistern der PR anregen. Das führt nämlich automatisch zum Nachdenken.
Knapp 1.000 Wörter. Wer es bis hierher geschafft hat, darf zufrieden und stolz schlafen gehen.
ich muss da sofort an Nineteen Eighty-Four denken
Erinnert mich an „Wag the dog“ und macht mir immer wieder aufs neue Angst, wie ich beeinflusst werde ohne es zu merken.
„Wag the dog“ – wieder einer für meine „Movies to watch“ Liste, danke!
Mein Problem ist, dass meine Einstellung „Ich trau sowieso keinem Politiker/Land/Regime/etc zu 100 % weil warum sollten die mir kleinem Menschlein was Gutes wollen?“ auch nicht sehr hilfreich ist in Wahrheit.
Ich hinterfrage zwar vieles und könnte mir – im Gegensatz zu diversen Verwandten und Bekannten – nicht vorstellen, irgendeinen Politiker als total gutwillig und den Inbegriff der Intelligenz zu sehen, aber im Endeffekt bringt mir das auch nix. Weil ich trotzdem in dieser Gesellschaft lebe(n muss). Und daher trotzdem den Auswirkungen dieser Politiker/Regierungen ausgesetzt bin.
Also alle gedankliche Rebellion – eigentlich völlig sinnlos.
Ist es nicht schlimmer, in dem Wissen „Da passt nicht alles“ zu leben und es absichtlich zu ignorieren, als gleich davon überzeugt zu sein, dass eh alles passt?
That’s a sensible answer to a chnnlelgiag question