Linz, am 4. November 2013
Geliebtes Tagebuch,
ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich mir in den letzten Jahren händeringend gewünscht habe, dass ich als rebellischer Jugendlicher dem Wunsche meiner Mutter gefolgt wäre und nicht studiert hätte.
Dann wäre ich jetzt nämlich Fernfahrer in Osteuropa. Oder zweiter Assistent eines stellvertretenden Hochofenreinigers. Oder Schweinehirt. Oder im Marketing. Egal was – alles wäre besser als meine jetzige Existenz als Software Engineer.
Unser Teamleiter hat diese Woche unsere neue Entwicklungsumgebung freigegeben: Wir dürfen jetzt endlich in Visual Basic 5 programmieren, da dies mittlerweile den für uns wünschenswerten Grad an Reife und Stabilität erreicht hat.
Dieses Upgrade hat auch einen angenehmen Nebeneffekt, da wir gleichzeitig aus Gründen der Kompatibilität auf Windows 95 umsteigen mussten. Dies geht unserem Teamleiter zwar sehr gegen den Strich, denn er wettert und schimpft schon seit Monaten über die übertrieben moderne, unausgegorene Benutzeroberfläche und die krasse Unnötigkeit von 32 Bit. Vor allem dieses „Startmenü“ ist das besondere Ziel seines Spotts. Aber auch er kann sich den ändernden Zeiten nicht verschließen.
Wir sind aber grundsätzlich schon sehr froh, dass unser Teamleiter ab und an bemüht ist, die technischen Zeichen der Zeit zu erkennen und frühzeitig zu reagieren.
So kam er gestern ganz aufgekratzt und einige Minuten verspätet in unsere Teamkonferenz. Du erinnerst dich, mein geduldiges Tagebuch, das wir einem eher weniger agilen Entwicklungsmodell folgen und deswegen täglich dem Teamleiter mehrere Stunden lang unseren jeweiligen Fortschritt berichten müssen?
Jedenfalls, ganz außer Atem zeigte er uns mit Hilfe des Overheadprojektors ein neues, heißes Ding, das er gerade entdeckt hatte: Ein globales Netzwerk, über das man Daten und Informationen austauschen kann. Mit leuchtenden Augen malte er uns die unbegrenzten Möglichkeit dieser „Datenautobahn“ aus.
Auch wenn wir noch einige Jahre warten müssen, bis diese hochmoderne, cutting-edge Technologie die für uns nötige Reliabilität und Verlässlichkeit haben wird, ist es schon jetzt gut zu wissen, was die Zukunft für uns bereithalten wird.
Ich verbleibe auf ewiglich Dein,
~ saxx
wieder ein sehr gelungener Eintrag *daumenhoch*