Eine unfassbare Unsitte, eine schadenfrohe Schändung jeglicher Tischmanieren ist mir letzten Sonntag wieder in Blickfeld und Gedächtnis gerückt, als ich zusammen mit Familie und Verwandten im so untreffend benannten Gasthaus "Mitten in der Welt" * (rein geometisch zwar nicht unwahr, die aufwendige Anfahrt über hügelige Güterwege und ominöse Schleichsträßchen spottet aber dieser Bezeichnung) zum Zwecke eines Wildessens war.
Eine überwiegend bei Menschen weiblichen Geschlechts beliebte Tradition ist nämlich das sogenannte "Kosten" von fremder Nahrung. Wann immer zwei oder mehr Frauen gemeinsam am Esstisch sitzen, muss nach nicht lange auf den obligatorischen Dialog warten:
- Frau A: Ma, des schaut aber guat aus.
- Frau B: Magst mal kosten?
- Frau A: Ja bitte, magst von mir auch was?
- Frau B: Ja, des schaut nämli a lecker aus.
- Frau C: Ma, dürft i bitte a Stückerl davon haben – na, ned von dem, von dem roten da?
Und ehe man sichs versieht, werden über den ganzen Tisch Gabeln und Löffel herumgereicht, werden eigene Essensreste in fremde Münder gesteckt und auf fremde Tellern platziert. Für den gepflegten Mann von heute ist dies eine äußerst nervenaufreibende und unangenehme Praxis, denn erstens will man beim Essen seine Ruhe und nicht dauernd feindlichen Gabeln ausweichen müssen und zweitens, was viel schlimmer ist, wird man von den feilschenden Damen mit ins Geschehen gezwungen – wider Willen muss man die wertvollsten Teile seines langerwarteten, schmackhaften Essens abgeben um als Gegenleistung nichts oder höchstens fade Kohlsprossen zu bekommen.
Hier bietet sich übrigens die Möglichkeit für einen unfehlbaren Männlichkeitstest: Weicheier, Warmduscher und Lindenblütenteetrinker beugen sich den fraulichen Essensansprüchen, geben Teile ihrer Nahrung ab und leisten somit Beihilfe zum Zivilisations- und Benehmensende. Wahre Männer hingegegen (zu denen, ich sage dies nicht ohne Stolz, laut dieses Männlichkeitstests auch ich gehöre), antworten auf eine solchgestaltige Anfrage mit einem unfreundlichen "Hättst es dir halt selber bestellt." und wehren anfliegende Gabeln und anderes Besteck ritterhaft ab, bevor sie dem eigenen Teller zu nahe kommen.
* Grundsätzlich eine empfehlenswerte Lokalität in Neußerling, die den Charme eines Mühlviertler Familienwirtshauses mit überfüllten Speisesälen und schmackhaftem Essen kombiniert. Zu unserem erheblichen Amüsement hatte unser junges unschuldiges Bedienungsmägdelein massive Schwierigkeiten mit dem tragbaren Touchscreenbestellungsaufnehmteil (das auch gemeinhin zunehmend den guten alten Schmierzettel verdrängt), was mehr als einmal zum wiederholten Ansagen unserer Bestellung führte. Der Versuch, zum Dessert gemischtes Eis mit verschiedenen Besteller-spezifischen Sorten zu bekommen, endete sowieso im Chaos.
Yes! Endlich mal jemand, der sich diesen Misstand zu Papier bringen traut! Wenn man das kosten-lassen verweigert, wird man ja gemeinhin als futterneid-Nazi hingestellt… 🙁
<techtalk>
Was war das für Touchscreenbestellungsaufnehmteil?
PocketPC?
Erfolgte die Kommunikation drahtlos (Bluetooth?) oder gab es in der Küche/Bar eine Art Dockingstation?
</techtalk>
Während die Zivilisation untergeht hätte sich der wahre Mann ungestört dem jungen unschuldigen Bedienungsmägdelein zuwenden können.
lowlander, ich hab keine Ahnung was für ein Teil das war. Rückseite war schwarz.
Das Bedienungsmägdelein war so in Anspruch genommen, dass es kaum Zeit fand, einen Blick auf meinen Luxuskörper zu werfen. Meine dezenten Anspielungen wurden daher leider überrhört.