Vor einigen Monaten wurde ich auf ein „Konzept“ aufmerksam, dass ich recht spannend finde, und das sich sogar im Alltagsgebrauch als durchaus nützlich erweist: Dem Survivorship Bias.
Hierbei handelt es sich um jene Tendenz, sich bei der Bewertung einer Situation immer auf die „Überlebenden“ zu konzentrieren und alles andere zu übersehen beziehungsweise nicht zu berücksichtigen – um in Folge unbewusst die falschen Schlüsse zu ziehen. Hierbei kann es sich um Menschen handeln, aber auch um Unternehmen, Ideen, was auch immer.
Ein Beispiel, an dem ich alter Historiker mir die Sache besonders gut merke:
Im zweiten Weltkrieg haben die Alliierten Wege gesucht, um die extrem hohen Verlustraten der eigenen Bomberflotten zu verkleinern. Dazu haben sie die wenigen überlebenden Bomber analysiert und schnell festgestellt, dass vor allem an den Flügeln, rund um den Heckschützen und entlang des Rumpfes die meisten Einschusslöcher waren. Die scheinbar logische Maßnahme der Bomberkonstrukteure war in Folge, an genau diesen Stellen besonders dicke und schwere Panzerung anzubringen.
Das war aber ein Fehler. Denn die Einschusslöcher zeigten nicht die Schwachstellen der Bomber, sondern wenig intuitiv deren Stärken. Denn immerhin waren dies bloß Löcher und der Bomber hat es trotzdem noch zurück nach Hause geschafft. Treffer an anderen Stellen haben sich viel fataler ausgewirkt, denn die haben die Bomber abstürzen lassen.
Ein typischer Fall von Survivorship Bias, bei dem man sich nur auf die Überlebenden konzentriert hat und in Folge die falschen Schlüsse gezogen hat.
Ein anderes Beispiel, das aktuell besonders in der Technologie-Branche spannend ist und viel zu wenig Beachtung findet: Überall liest man die Tage von wahnsinnig erfolgreichen Internet Start-Ups, von Studenten oder sonstigen Genies, die es quasi über Nacht zu Millionären gebracht haben, die nach wenigen Monaten Arbeit für viel Geld von Google aufgekauft wurden, die sich mit 25 zur Ruhe setzen können.
Und ja, solche Menschen gibt es sogar tatsächlich. Was aber in diesem Zusammenhang gerne vergessen wird, das sind die anderen. Nämlich die, die es trotz guter Idee und jahrelanger harter Arbeit nicht geschafft haben und die jetzt ausgebrannt und bankrott vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Und die wenigen, die es mit ihren Start-Ups wirklich schaffen, sind nur ein Bruchteil derjenigen, die mehr oder weniger tragisch untergehen. Nur hört und liest man halt üblicherweise nur von den erfolgreichen Überlebenden, und die sich aufdrängende Schlussfolgerung „Startup equals Success equals Money“ ist ein typischer Fall von Survivorship Bias.
Ein letztes Beispiel: Mit verklärtem Blick erinnert sich so manches ältere Semester an die gute alte Zeit, vor allem an die Autos. Ach, die Autos, das war damals noch richtige gute Qualitätsarbeit, nicht Schrott wie heutzutage, der schon nach wenigen Jahren den Geist aufgibt. Man muss ja schließlich nur einen Blick auf den VW Käfer werfen – vor 70 Jahren entworfen, vor 50 oder 60 Jahren gebaut, und schnurrt noch immer wie ein Kätzchen.
Solche Qualität gab es halt nur früher. Stimmt, der VW Käfer ist ein Erfolg, an den kaum jemand heran kommt. Vor allem nicht die Hunderten anderen Automodelle und -entwürfe aus der selben Zeit, nach denen heute kein Hahn mehr kräht. Aus dem Käfer also auf eine im Vergleich zu heute überlegene deutsche Nachkriegs-Ingenieurskunst zu schließen ist … genau, Survivorship Bias.
Genug der einprägsamen Geschichtchen. Im ersten Absatz habe ich geschrieben, dass das Wissen um den Survivorship Bias auch im alltäglichen Gebrauch nützlich ist. Klar, einerseits irgendwie schon auch dafür, so manche Sache anders und besser zu bewerten. Viel mehr aber, um Diskussionen zu gewinnen.
Denn mit etwas Mühe und Kreativität findet man fast überall so etwas wie Survivorship Bias. Und es ist unheimlich effektiv, eine Diskussion abzuwürgen, indem man in den Raum wirft: „Hmm, ich glaube, du hast in deiner Schlussfolgerung eines nicht berücksichtigt. Bist du dir ganz sicher, dass du nicht im Einfluss von etwas Survivorship Bias stehst?“
Das hat dann nämlich eine von zwei Auswirkungen zur Folge:
- Der oder die Gegenüber hat keine Ahnung, wovon man spricht und man kann umgehend den eigenen haushoch überlegenen Intellekt unter Beweis stellen, indem man Survivorship Bias erklärt und unterhaltsame Anekdoten aus dem Zweitem Weltkrieg zum besten gibt.
- Der oder die Gegenüber muss innehalten und die eigene Argumentationskette neu aufrollen und durchleuchten. Selbst wenn er oder sie keinen entsprechende Voreingenommenheit entdecken kann – der Zweifel bleibt und die Argumentation ist in jedem Fall geschwächt.
In beiden Fällen geht man schnell als Sieger aus der Diskussion. Schlussfolgerung: Ein Hinweis auf Survivorship Bias ist fast genau so effektiv wie einer auf Godwins Law. Unfehlbar. Oder, hm hmm hmmm, ist das jetzt schon wieder Survivorship Bias?
Danke für den Artikel.
Ich habe dadurch ein neues Buch für gefunden: „You Are Now Less Dumb – Get it now!“
Interessant!
Allerdings stört mich dein „gegendere“ 😉