Die knapp fünfzehn Minuten, die ein Haarschnitt beim Frisör meines Vertrauens dauert, sind immer wieder die längsten meines Lebens. Gefangen unter diesem Zorro-Umhang kann ich nichts weiter tun, außer mich selbst auf Nadeln sitzend und die Frisörin schnipselnd im Spiegel zu beobachten. Da ist es dann nicht weiter verwunderlich, wenn sich Gedankengänge auftun, auf die ich sonst eher weniger stoße.
Ich bewundere Frisösen. Zwar sagt mir meine Vernunft, dass da nicht besonders viel Hirnschmalz dazugehört, denn jedes Mädl mit schlechtem Hauptschulabschluss wird, zumindest im Mühlviertel, automatisch Frisöse und hat den Dreh nach einem Jahr des Haarezusammenkehrens gut raus. Trotzdem beeindruckt es mich immer, dass nach ein paar Minuten des scheinbar planlosen Herumschnippselns, mal links, mal rechts, zum Schluss doch irgendwie ein vorzeigbares Resultat zum Vorschein kommt.
Verunsichert bin ich jedoch immer dann, wenn das junge Mädchen mit den großen Scheren plötzlich vom jahrelang gewohnten Vorgang abweicht, also etwa während des finalen Ausrasierens unerwartet doch noch mal zur Schneidschere greift, mit der sie normalerweise nur eingangs arbeitet. Da schwindet dann der Schein von Professionalität, denn sie versucht offensichtlich, noch schnell einen Fehler auszubessern. Gleich nach dem Release einen Patchday nachziehen, das macht keinen guten Eindruck.
Apropos „Ausrasieren“: Was soll diese Frage „Darf ich eh hinten ausrasieren“? Ja klar Schnucki, mach nur – hat es jemals in der Geschichte der Haarschneidekunst einen Menschen gegeben, der auf diese Frage mit „Nein, bitte nicht, der kleidsame Nackenflaum ist essentiell für meinem Look“ geantwortet hat? Überhaupt fragen die Frisösen viel zu viel: Nass machen? Gel rein? Ausrasieren? Passts so? Die Länge stimmt? Bar oder Bankomat? Ich bin meistens schon von der ersten Frage „No, wie wollmas denn?“ überfordert. Schließlich bin nicht ich der Profi auf dem Gebiet, ich will einfach wieder vorzeigbar aussehen, lass dir also was einfallen, Baby.
Frisösen haben den Ruf, besonders hübsch zu sein. Nun ja, es gibt vereinzelt durchaus sehenswerte Exemplare, aber die durchschnittliche Haarschneiderin ist zu dick, zu klein und watschelt beim Gehen. Wie bei Empfangssekretärinnen und Cocktailkellnerinnen sollten auch im Frisörberuf strenge Regeln zum maximal zulässigen Kampfgewicht gelten: Sobald die ausholende Oberweite beim Schneiden durchgehend am Kunden streift, ist es dringend Zeit für eine Diät.
Angenehm ist aber, dass, im Gegensatz zu früher, die Frisösen nicht mehr krampfhaft versuchen, ins Gespräch zu kommen. Sowohl Dienstleister als auch Kunde haben beim Schneidvorgang verdrießlich dreinzuschauen, Punktum. Es ist schlimm genug, wenn jemand mit spitzen, scharfen Werkzeugen an meinem Körper herumfummelt, da mag ich nicht auch noch Smalltalk machen müssen. Das ist übrigens ein Vorteil beim Zahnarzt: Mit Saugern, Spiegelchen, Bohrern und Tupfern im Mund erwartet wenigstens niemand, dass ich meine Meinung zum aktuellen Wetter kundtue.
Bemerkenswert ist auch, wie wenig Männer in diesen Beruf gefunden haben – und dass diejenigen wenigen dann stets international ausgezeichnete Superstars des Berufs sind, oder nur flüsternd weitergegebene Geheimtipps der lokalen Hausfrauenschaft.