Schon des längeren habe ich mit einem Besuch bei einem Haarschneider geliebäugelt, hatte aber lange Zeit mit Skrupeln zu kämpfen, da mir Sarah im Falle einer falschen Frisurenwahl Konsequenzen unlieblicher Art angedroht hatte. Heute aber schlenderte ich zufällig bei einem Friseur auf der Landstraße vorbei und wagte das Experiment, obwohl ich schon von mehreren Zeitgenossinnen gehört hattee, dass der spontane Besuch eines bis dato fremden, unempfohlenen Friseurs ein Lausbubenstück enormer Ausmaße sei.
Fast hätte ichs mir aber dann doch noch anders überlegt, denn ich musste ein hässliches Stiegenhaus hoch klettern. Auch der Salon selbst machte keinen recht guten Eindruck, alles war vollgeräumt, überfüllt und in eine ungepflegte Altbauwohnung gestopft – von meinem Rohrbacher Stammfriseur bin ich da ganz anderes gewohnt. Von einer missmutigen alten Frau* wurde ich wortlos mit einem herablassenden Blick begrüßt, worauf ich verängstigt mein Sprüchlein "Waschen und schneiden bitte" hervor stieß. Wortlos holte sie einen Kleiderbügel und ich entwand mich meiner Jacke, worauf das Mütterchen einige Schwierigkeiten hatte, diese korrekt aufzuhängen. Schließlich war aber auch dieses Werk getan und mit krächzender Stimme rief sie "Sabine, ein Herr ist da für dich" in den Raum.
Es wuselte eine junge Dame daher, wohl an die achtzehn, neunzehn Lenze jung, von halbwegs guter Figur und nettem Gesicht, aber ein bisschen zu klein um wirklich hübsch zu sein, die mich in ein hinteres Kämmerlein führte. Auf dem Weg dorthin musste ich um überraschend viele Ecken gehen und zahllosen Hindernissen und angeekelt wirkenden Friseurlehrlingen ausweichen. Doch ich durfte auch einen Blick auf den Chef höchstpersönlich werfen, einem übergewichtigen, untersetztem Männlein mit Hawaiihemd, Pferdeschwanz und grassierender Glatze, die im besten Homer-Stil mit den letzten verbliebenen Haaren unzureichend abgedeckt wurde.
Während der Waschprozedur lernte ich die meine kleine Sabine kennen und lieben – sie war sehr freundlich und zärtlich mit meiner Kopfhaut und wollte, was ich sehr schätze, nicht mit mir plaudern. Unverzüglich ging es auch ans Schneiden meines Kopfhaars, wo Sabine hie und da kleine Vorschläge zur Verbesserung meines Schneidekonzepts anbrachte – auch etwas, was ich nicht als unangenehm empfand, denn immerhin war sie die ausgebildete Fachkraft.
Im Laufe meiner Verschönerung kam plötzlich ein junger weiblicher Lehrling mit einer stolzen Wampe des Weges und informierte ohne Umwege meine Sabine, dass "da Chef schowieder gschimpft hat, weilst dauernd deine Zigaretten umadumliegen losst". Sabsi, wie ich sie liebevoll nenne, ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen, schnippelte unverdrossen weiter und schimpfte ihrerseits fleißig über den Chef, was mich zu einem Grinsen animierte, was sie wiederum mit einem Lachen quittierte. Überhaupt hörte ich ständig aus den diversen Nachbarzimmern das krächzende, aufdringliche Geplapper des Mütterchens. Besonders erwähnenswert ist, neben all den Nichtigkeiten, die eine alte Frau bewegen, die Aussage "Ah, so a Sturm, der kann mi ned erschütteln".
Schließlich aber war ich fertig geföhnt und gestylt (natürlich mit Gel, da lass ich mich nicht lumpen) und ich entlohnte meine liebe Sabine, die mir auch mit einem verschmitzten Lächeln eine Visitenkarte reichte, auf die sie ihren Namen geschrieben hatte. Mit einem unwiderstehlichen "Bis zum nächsten Mal" verabschiedete sie mich. Einerseits traurig über diesen prompten, unromantischen Abschied, andererseits froh, dem gruseligen Reich des Mütterchens entronnen zu sein, stolperte ich die Treppen hinunter zurück ins Tageslicht.
* Genauso wie alte, ausgelutschte Huren als Puffmutter weiter ihren Arbeitsplatz behalten dürfen, bekommen ausgediente Friseusen ihr Gnadenbrot als Aufpasserin für die Lehrlinge.