Gestern Abend und Nacht ging es wieder mal ab in der Gottseidank in der Auflösung begriffenen WG: Dabei rede ich gar nicht vom Putz"plan", der seit Wochen geflissentlich ignoriert wird (mittlerweile auch von mir, weil wo kommen wir denn da hin) oder schimmelnden Geschirrbergen, die in unregelmäßigen Abständen ihr riechendes Dasein neben der Abwasch fristen. Nein, gestern ging es nicht um solche Kleinigkeiten.
Der Abend begann ganz normal: Mit S. hatte ich ursprünglich einen netten Zweierabend mit ein paar schönen Spielen (Brett spielen, du Schweinchen) geplant, sie schlief aber innerhalb von Minuten vor dem Fernseher ein (nicht weiter ungewöhnlich). Drum schnappte ich mir den in solchen Fällen unendlich nützlichen Nintendo DS, ließ den Fernseher im Hintergrund mit diversen N-TV Dokumentationen laufen, legte mich neben den schlafenden Engel und spielte mich müde. Natürlich, wie könnte es anders sein, als ich mich endlich schlafen lege, war S. plötzlich putzmunter. Dazu kam, dass offensichtlich die arbeitsscheue Mitbewohnerin D. zwei Zimmer weiter eine fette Party schmiss, weil es nur so zuging. Zwanzig Minuten versuchte ich trotzdem einzuschlafen, bis mit die Hutschnur riss und ich wütend aufstand um den Brüllern die Leviten zu lesen.
Zu meiner Überraschung fand ich nur D. und eine Freundin stockbetrunken, herumschreiend und barbusig (!) am Boden sitzen. Ich ignorierte die Aussicht (D. hat, das muss ich zugeben, einen ziemlich ansehnlichen Körper) und bat sie aufgebracht, verdammt noch mal endlich ruhig zu sein, woraufhin D. sich vielmals entschuldigte und Besserung gelobte. Zurück im Bett spürte ich davon natürlich nichts, sondern bekam nur mit, wie sie laut aus dem Fenster auf die Landstraße hinaus brüllten. Ich schlief aber trotzdem irgendwann ein.
Irgendwann mitten in der Nacht wurde ich aus dem Schlaf gerissen, den plötzlich stand der siebzehnjährige Mitbewohner R. neben dem Bett, entschuldigte sich in der ihm eigenen Weise (nämlich sehr schnell und undeutlich sprechend, dass ich ihn kaum verstand) für die Störung und bat um eine Handy, dass sich mit Telering-Simkarte betreiben lässt, es wäre sehr dringend. So sehr wir uns auch über den unerwarteten Besuch freuten, konnten wir ihm hierbei leider nicht weiterhelfen, woraufhin er uns wieder unserem Schlaf überließ.
Zumindest für kurze Zeit, denn später (ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, laut S. war es mittlerweile aber etwa vier Uhr morgens) stürmte er erneut aufgelöst in unser Zimmer und bat verzweifelt um Hilfe: D. hätte gerade massive psychische Probleme, Anfälle, Asthma, wolle aus dem Fenster springen und was weiß Gott noch alles und er wisse nicht mehr was er tun solle, er wäre ja nur, Zitat, "siebzehn Jahre alt". Mir war seine missliche Lage herzlich egal (schließlich war ich nicht einmal halbwegs wach), in S. regte sich aber der fürsorgliche Instinkt und sie eilte zur Hilfe.
Als sie zurück kam, wollte sie mir gleich aufgeregt die Neuigkeiten erzählen, ich bat aber müde "Morgen bitte" – was sie nicht davon abhielt, mir trotzdem die wichtigsten Details zu schildern: D. wäre komplett aufgelöst, schreie abwechselnd nach ihrem Exfreund (der um einiges älter als sie ist und sie bisher immer finanziell und offensichtlich auch emotional versorgt hatte), weine hysterisch, wäre aber auch von einem Moment zu anderen plötzlich wieder ganz normal. Offensichtlich hatten sich ihre auch sonst erkennbare psychische Instabilität mit Alkohol und diversen anderen Faktoren gut vermischt und ein wunderschönes Borderline-Syndrom zu Tage geführt – Psychologin und Menschenfreund S. war selbstredend tief besorgt, ich war todmüde und nicht einmal zu einem Viertel geistig anwesend.
Wir waren noch nicht wieder eingeschlafen, als wir plötzlich die Wohnungstür hören – S. sprang erschrocken und halbnackt auf, rief nur "Oh Gott, sie will gehen" und verschwand – nicht ohne natürlich die Zimmertür sperrangelweit offen zu lassen und mich live an den folgenden Szenen teilhaben zu lassen: Draußen hörte ich sie hektisch mit R. flüstern, D. weinen und allerlei Türen auf- und zugehen. Als Ergebnis kam schließlich heraus, dass D. den Plan gefasst hatte, zu ihrem Exfreund zu gehen. S. und R. versuchten sie im Hinblick auf ihre offensichtliche Instabilität aufzuhalten, ließen sie dann aber doch ziehen. Das war für diese Nacht dann die letzte Störung, es war aber auch schon fast hell draußen.
Am Morgen, als ich wieder etwas aufnahmefähiger war, erzählte mir S. einige weitere Details: Offensichtlich hatte D. erfahren, dass sie ihr Exfreund nun endgültig nicht mehr (wohnungstechnisch) aushalten wolle und da sie sich nicht einmal die 200 Euro April-Miete für ihr WG-Zimmer leisten konnte, war die Zukunft denkbar düster. In einem Wutanfall hatte sie ihr Handy am Boden zerschellt, was es dem gutmütigen R. (das ist er wirklich, aber als Mitbewohner leider doch noch sehr unerwachsen), der zufällig dazu gekommen war, unmöglich machte, den Exfreund zu Hilfe zu rufen (daher auch die nächtlich Frage nach einem Telering-Handy, wo die Simkarte passen würde). Über Umwege, über die ich gar nicht weiter nachdenken will, erreichte er verzweifelt aber die Mutter (!) des Exfreundes, die D. nicht so wohlgesonnen schien und es schlichtweg ablehnte, den Exfreund zu verständigen oder sonst irgendwie einzugreifen (wer kann es ihr verdenken), sondern den armen R. nur darauf hinwies, dass D. gefälligst seine Verantwortung wäre, was dem lieben Jungen natürlich schnell über den Kopf wuchs.
Ich weiß nicht, ob mir das Ganze leid tun soll oder ob ich nur das Haupt über soviel Verantwortungslosigkeit, Gedankenlosigkeit, Zukunftsverweigerung und -blindheit schütteln soll. Jeder ist in erster Linie mal für sich selbst verantwortlich, und wer mit 24 Jahren (ich glaube, so alt ist D.) nicht auf den eigenen Beinen stehen kann, weil das Geld, das man im Laden des Exfreundes verdient, sofort für Alkohol, Drogen oder andere Spielereien auf den Putz gehauen wird und nicht einmal eine Woche hält, muss sich ernsthaft über sich selbst Gedanken machen. Oder in die Psychiatrie.