Die Vorgeschichte: Seit zwei Tagen fiel mir ein unangenehmer Geruch bei der Sitzgruppe vor meinem Zimmer auf. Dachte mir aber nicht viel dabei (da ich ihn zu diesem Zeitpunkt noch keiner eindeutigen Geruchsquelle zuordnen konnte).

So weit, so gut.

Heute morgen klopfte eine Putzfrau an meiner Tür (was ja nicht weiter ungewöhnlich ist) sperrte auf und betrat meinen Vorraum. Ich, noch ganz dem Halbschlaf anheim gefallen, ignorierte sie, dachte ich doch, sie will nur den Papierkorb ausleeren. Aber nein, sie warf nur einen verstohlenen Blick um die Ecke (wie ich durch meine ganz leicht geöffneten Augen erkennen konnte) und fand mich, dachte sie, schlafend vor. Sie schloss überraschenderweise die Verbindungstür zwischen Vorzimmer und eigentlichem Zimmer (was ich sehr rücksichtsvoll fand), weil sie sofort darauf lautstark in meinem Bad zu werken anfing. Ok, dachte ich mir, wird mein Zimmer heute schon geputzt, das ist gut, hab ich morgen in der Früh meine Ruhe.
Sie fuhrwerkte also eine Zeitlang in meinem Bad, und ich dachte mir schon, ich hätt irgendwo extrem widerspenstigen Dreck hinterlassen, weil sie so lang braucht. Irgendwann war sie aber fertig, zumindest wurde es leise. Erfreut wollte ich weiterschlafen, als schon wieder Radau in meinem Bad gemacht wurde und die Putzfrau fleißig weiterwerkte. Ich war verwirrt, was mir aber zu diesem früh morgendlichen Zeitpunkt herzlich egal war.
Irgendwann war sie aber endgültig fertig, da ich hörte, wie sie (die Putzfrau, nach wie vor) die Tür zusperrte. Jetzt war ich endgültig verwirrt, weil wieso putzt sie mein Bad, aber nicht mein Zimmer? Egal, ich wollte einfach nur weiterschlafen.

Dies wollte mir aber so gar nicht gelingen, da sich ein leichter, aber aufdringlicher Geruch in meinem Zimmerchen breit machte. Da ich mir keiner Schuld bewusst war, stand ich also auf, um dem Grunde dieses Ungemachs auf die Schliche zu kommen. Gerade aufgestanden und die Hose angezogen klopfte wieder jemand an der Tür und sperrte auf. Es war (schon wieder) eben jenige Putzfrau von vorhin. Diesmal konnte ich mich schlecht schlafend stellen, grüßte also freundlich, was sie erwiderte.

So weit, so gut.

Statt jedoch ihrem Tagewerk als Putzfrau nachzugehen, fing sie an, mit mir zu reden. Verständlicherweise war ich schockiert und auch ein bisschen angeekelt (aber nicht viel, Putzfrauen sind ja auch Menschen). Dieses kurze Gespräch gestaltete sich ungefähr folgendermaßen. Übrigens war ich froh, dass es die blonde österreichische Putzfrau war, und nicht die ausländische, die zwar nicht minder kompetent sein mag, jedoch eher schwer (bzw noch schwerer) zu verstehen ist:

Sie (geschäftsmäßig): Morgen. Sie wissen ned zufällig wer … [mehr konnte ich nicht verstehen]
Ich (verschlafen): Wie bitte?
Sie (langsam und deutlich, wie wenn man mit einer ausländischen Putzfrau reden würden): Sie wissen nicht zufällig, wer vor Ihrer Tür in den Blumenstock gebrochen hat.
Ich (möglichst erschrocken und unschuldig tuend, da ich statt gebrochen zerbrochen verstanden hab und ich mir überdies keiner Schuld bewusst war und daher auf jeden Fall diesen Eindruck erwecken wollte): [erschrockendes Schweigen]
Sie (extrem langsam, nun nicht mehr für tschechische, sondern für tschetschenische Putzfrauen): Sie wissen nicht zufällig, wer vor Ihrer Tür in den Blumenstock gebrochen hat.
Ich (nun wirklich schockiert, da ich sie endlich richtig verstanden hatte. In Sekundenbruchteilen ging ich den gestrigen Abend durch, konnte keine Schuld bei mir entdecken. Auch der Gedanke, dass Flo nach dem einen Bier gestern während Halo schuld sein könnte wurde schnell ausgeschlossen): What??!?? [ich hab wirklich what gesagt :]
Sie (genervt): Irgend jemand hat in den Blumenstock draußen gebrochen.
Ich (mittlerweile fügten sich alle Indizien wie Geruch heute morgen drinnen und Geruch seit zwei Tagen draußen zusammen): Nein, hab keine Ahnung. Ist mir nicht einmal aufgefallen.
Sie (insgeheim mir die Schuld zuweisend): Aha.

Ohne ein weiteres Wort geht sie, sperrt mir die Tür vor der Nase zu (weil ich rausgehn und schaun wollte). Mittlerweile fiel mir auch der extreme Gestank nach Kotze in meinem Zimmer, speziell im Bad, auf. Während ich mir die Kontaktlinsen genehmigte und dabei ständig ob des Gestankes meine eigenen Innereien bändigen musste, fügte ich durch Kombination a la Mr. Holmes das Puzzle zusammen:

Vor zwei Tagen haben irgendwelche gehirnamputierten nichtsnutzigen Halbseitenspastiker (Entschuldigung für diese Kraftausdrücke, aber es musste sein) vor meiner Tür in den Blumenstock gekotzt. Das ist an sich schon ekelhaft genug, sie haben es aber weder selber weggeputzt noch gemeldet. Darum stank es zwei Tage vor meinem Zimmer vor sich hin. Heute morgen hat die Putzfrau den Quelle des Gerüchleins entdeckt, und sie mithilfe meines Badezimmers beseitigt. Darum stinkt es nun auch in meinem Zimmer vor sich hin.

Was dazu führt, dass ich mich erstens auf die Softwarerechtvorlesung heute morgen gefreut habe, da ich endlich raus aus diesem meinem Zimmer konnte; zweitens hab ich alle Fenster, an die ich ran kam aufgerissen, was dazu führt, dass ich gerade jetzt in einem Zimmer sitze, wo es so zieht wie am Kap der Stürme und sämtliche Zetteln irgendwie herumfliegen. Und drittens wäre ich fast erstickt, als ich versuchte, den Gestank mit Axe Spray zu bändigen. Vermutlich habe ich mir meine Lungen verätzt oder so von all dem Treibgas.

Zumindest schauts wettermäßig ganz gut aus fürs Sommerfest.

Liebes Tagebuch,

ich habe die heutigen Ereignisse noch nicht ganz verarbeiten können. Mein Nachbar Flo ist ja Atomkraftbefürworter der ersten Stunde. Und um seinen Standpunkt zu unterstreichen, hat er heute in der Linzer Altstadt, angeblich bezahlt von der französischen Atomkraftlobby, Atommüll gegessen. Vier kleine Fässer.
Anschließend hat er mich zu sich „eingeladen“. Jetzt sitze ich zusammengekauert bei ihm im Zimmer, denn Flo hat mir Prügel angedroht, sollte ich auch nur einen Mucks von mir geben. Unnötig zu erwähnen, dass er mich an den Heizkörper gefesselt hat. So muss ich Flo mit angsterfüllten Augen zuschauen, wie er neben mir sitzt, sich die Muttermale pierct und sich grunzend einen widerwärten Gewaltporno ansieht.

Ich selbst, liebes Tagebuch, habe gestern ergriffen die goldene Dürrenmatt-Feder entgegen nehmen dürfen, für meine vielgepriesene Übersetzung der frühen Max-Frisch-Prosa ins Rätoromanische. Das Übertragen Schweizer Meister in andere kostbare Sprachen bereitet mir mehr und mehr Freuden. Urs Widmers Gesamtausgabe in der Sprache der Hopi-Indianer ist in hoffnungsfrohem Werden und in baldigem, kräftigen Sein. Erlaube mir, lieber Urs, die eine oder andere kleine Verbesserung im Original.

Liebes Tagebuch,

heute hat mir mein Nachbar Flo seinen besten Freund, den Schlachter und Zuhälter Blut-Bruno vorgestellt. Eine furchterregende Gestalt, dieser Hüne Blut-Bruno, so wie vor mir stand, noch die blutbespritzte Fleischerschürze über den mächtigen Bauch gespannt.
Jedenfalls rauschten die beiden bald, nachdem sich der ebenfalls baumlange Flo auf den Sozius gequetscht hatte, auf Blut-Brunos Mini-Maxi ab, weil, so Flo, „er noch eine Wette einzulösen habe“.
Er brach innerhalb von zwei Minuten dreißig 84 Stieren das Genick. Mit den bloßen Händen. Ein altgedienter Fleischermeister, der zufällig anwesend war, soll dabei wie ein kleines Kind geweint haben.
Als Flo am Abend nach diesem Schlachtfest heimgekehrt war, habe ich ihn noch Stunden danach leise flüstern hören „heute nur die Stiere, morgen alle Tiere“. Außerdem hat er ein weiteres Faß Sauerkraut in sein Zimmer gerollt.

Ich selbst, liebes Tagebuch, widme mich wieder voll und ganz meiner Kampagne für den umfassenden Schutz der mühlviertler Mischwälder. Außerdem übe ich wieder fleißig an der Panflöte, die einst den guten Karensky-Wolkenstein und den lieben alten Dr. N’Dongo so verzückt haben.

Liebes Tagebuch,

es ist nun wirklich an der Zeit, dir wieder einmal mein Herz auszuschütten und dir mein vielerlei Leid zu klagen. Und da hat sich, seit ich das letzte Mal das Wort an dich gerichtet habe, nun wirklich genug Klagenswertes angesammelt.

Immer schlimmer wird mein Zimmernachbar, liebes Tagebuch. Ich weiß nicht, wie er wirklich heißt, ich nenne ihn immer nur Flo. Jedenfalls, diese ominöse Person hat sich Anfang des Jahres noch relativ ruhig und manierlich verhalten. In letzter Zeit jedoch wird es immer seltsamer mit ihm.
So höre ich seit einiger Zeit Nacht für Nacht gedämpfte Schreie aus dem Nachbarzimmer. Die gesamte letze Nacht hab ich wachgelegen, weil ständig das SOS Zeichen (drei kurz – drei lang – drei kurz) auf den Heizungsrohren geklopft wurde. Zum Glück hat das gegen fünf Uhr morgens aufgehört, als Flo nach einem kurzem Stakkato von leisen Schreien und dumpfen Schlägen heimgekehrt ist.
Und als ich heute morgen, komplett verschlafen aus meinem Zimmer Richtung Fachhochschule gestolpert bin, habe ich Flo dabei ertappt, wie er ein mannsgroßes Fass Sauerkraut durch seine Zimmertür gerollt hat und dabei leise gekichert hat.
Zum Glück hat er mich nicht gesehen, denn jedes Mal, wenn er mich erblickt, sehe ich etwas in seinen Augen auflodern, dass es mir ganz kalt den Rücken hinunterläuft.

Ich selbst, liebes Tagebuch, widme mich wieder ganz der Seidenmalerei in Pastell um darin ein Ventil für meine kreative Energie zu finden. Außerdem lese ich neufranzösische Philosophie um mich geistig fit zu halten.

Dem Kenner wird sicher nicht entgangen sein, dass ich mich, wie schon so oft, an die Großmeister Christoph Maria und Dirk anlehne. Es möge mir verziehen sein.

Freitags ist ja bekanntlich mein Von-Hagenberg-Nach-Heimat-Fahr-Tag. So auch heute.
Wie üblich stand ich wieder viel zu lange in irgendwelchen Autoschlangen durch Linz, aber als funktionierendes Mitglied der Gesellschaft blieb ich ruhig und gelassen und war guter Dinge, als ich nach Puchenau den Duft der Heimat schon riechen konnte.
Fröhlich die Beatsteaks hörend fuhr ich am Bahnhof in Rottenegg vorbei, wo ein doch schon älterer Herr im Anzug offensichtlich betrunken (weil mächtig schwankend) am Straßenrand mittels ausgestrecktem Daumen eine Mitfahrgelegenheit suche. Normalerweise nehme ich gern Autostopper mit, vor allem wenn es sich um hübsche Autostopperinnen handelt, nur betrunkene alte Männer brauch ich nicht im Auto.
Fahr ich also an diesem Herrn vorbei und schau zufällig in den Rückspiegel, als ich sehe, wie eben erwähnter Gentleman mit beiden Beinen am Stand hüpft (so wie ich mir das bei Rumpelstilzchen vorstelle), mir irgendetwas nachbrüllt und beidhändig den Stinkefinger nachreckt.
In einem für mich gänzlich untypischen Reflex bremse ich und lenke zum Bahnhofsparkplatz, steige aus und gehe zu dem Herrn (der mich anscheinend schon wieder vergessen hat) und stelle ihn zur Rede (folgendes ist auf hochdeutsch übersetzt):

Ich (mit tiefer, männlicher, bedrohlicher Stimme): Wow, Chefkoch, was soll das?
Er (mit einem Fuß am Gehsteig und dem anderen auf der Bundesstraße, schwankend): Was?
Ich (höflicher als eben): Naja, was haben Sie mir da grad nachgeschrien?
Er (leicht vorwärtsgebeugt): Was?
Ich (bereuend): Na grade eben.
Er (überrascht): Ah, du warst das?
Ich (noch mehr bereuend): Ja, und des kanns ja wohl nicht sein dass …
Er (aggressiv, extrem undeutlich redend): Und wieso bist nicht stehngeblieben, du §$&%, du §$!&$, komm her da und ich §$§& ß%$ !§$%&!§ …

Nun, um es kurz zu machen, nicht lange nach diesem erfrischenden Dialog entfernte ich mich schnellen Schrittes vom Schauplatz und strebte dem Auto zu. Zum Glück war der Gentleman nicht mehr recht gut auf den Beinen, denn ich glaube er war in einer Mordsstimmung.

Eine höchst peinliche Episode für mich; nichtsdestotrotz irgendwie interessant und wert es zu erzählen.

Liebes Tagebuch!

Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod, denn die Hölle kann nicht schlimmer sein, als das, was ich in den letzten Wochen durchgemacht habe.
Auf Wunsch, soll heißen Befehl, unseres arglistigen Projektleiters Schweighofer und seiner nicht minder sadistischen Stellvertreterin Mairhofer musste ich am „Internationalen Projektmitglieder Austauschprogramm (IPAP)“ teilnehmen.
Zuerst habe ich mich darüber ja sogar mächtig gefreut darüber, weil es doch nach einer Chance aussah, den geifernden Klauen der Projektleiter zu entkommen, und sei es auch nur auf Zeit. Nun, liebes Tagebuch, da wusste ich noch nicht, dass ich drei Wochen in einer kleinen stickigen Höhle in einer zerbombten Bergfestung im Grenzland zwischen Pakistan und Afganistan zubringen muss, denn das IPAP hatte mich für das Projektteam von Osama Bin Laden vorgesehen. „Klingt gar nicht mal so uninteressant“, dachte ich mir in meiner Unwissenheit als ich von meinem Einsatzort hörte, packte frohgemut meine sieben Sachen und machte mich auf den Weg nach Kandahar County.
Nur schien das IPAP vergessen zu haben, die Taliban zu informieren, dass da in Kürze ein Austauschprojektmitglied ankommen wird. Was dazu führte, dass ich schnell an den Füßen aufgehängt über einem Loch voller Vipern und Skorpionen baumelte, ständig mit einer neunschwänzigen Katze verprügelt wurde und irgendwelche Fragen in irgendeiner Sprache entgegengebrüllt bekam, die ich natürlich nicht beantworten konnte, weil ich nichts verstand.
Glücklicherweise wurde nach kurzweiligen zwei Wochen ein amerikanischer GI neben mir aufgehängt, der ein paar Brocken indisch verstand, weil seine vierte Frau indischer Abstammung gewesen war. Ebenfalls eine glückliche Fügung war es, dass der Cousin eines Taliban in Kabul einen Brieffreund in Bombay hatte, der wiederum einen Nachbarn mit Telefon kannte, der wiederrum der Schwager eines Hobbyfunkers aus dem Kaukasus war. So wurde ich endlich verstanden und konnte meine Arbeit als Projektmitglied bei Osama Bin Laden aufnehmen.
Leider stellte sich heraus, dass Sami (wie ihn seine Freunde nannten) ganz und gar nicht der ruhige, verständnisvolle und liebenswerte Diplomat ist, als der er im Fernsehen auftritt. Ganz im Gegenteil. Sogar der gemeine Projektleiter Schweighofer wirkt umgänglich im Vergleich zu diesem aufbrausenden, kolerischen, jähzornigen Mann. Da verwundert es nicht, dass ich mich relativ oft mit glühenden Wangen in einem Fass mit dem afganischen Äquivalent zu Sauerkraut wiederfand. Auch die Bastonade habe ich mehr als einmal am eigenen Leibe erfahren dürfen. So gestaltete sich meine dritte Woche nicht weniger kurzweilig als die ersten beiden, die Zeit verging wie im Fluge.
Natürlich gibt es in Bergfestungen keinen Internetzugang. Daher hoffe ich, liebes Tagebuch, dass du mir verzeihen kannst, dass ich dir all die Zeit nichts geschrieben habe. Diesen Eintrag hier schreibe ich übrigens aus einem amerikanischen Gefangenenlager, mit meinem einen Anruf, der mir freisteht. Nun kann ich zwar nicht mehr die österreichische Botschaft verständigen, aber ich werde schon irgendwie durchkommen, liebes Tagebuch, mach dir keine Sorgen um mich, ich werde schon irgendwie … oh, ich muss aufhören, liebes Tagebuch, ich höre Transportmaschinen landen. Ich glaube, ich werde endgültig nach Guantanamo versetzt …

Liebes Tagebuch!

Es ist kaum zu glauben, aber gegen alle Erwartungen und Vorhersagen hat es der schmächtige Protokollant Kartusch geschafft, aus der Todesgrube Projekt auszubrechen. Zumindest ein bisschen. Er hat es geschafft, als Studiengangsvertreter für eben diesen unsrigen ernannt zu werden. Das ist ungefär so, als wenn ein Sträfling aus einem sowjetischen Gulag im tiefsten und kältesten Sibirien zum russischen Botschafter in Washington ernannt wird. Soviel zum guten Teil des Ganzen.
Die andere Seite der Medaille ist aber, dass ich nun mit Abstand das rangniedrigste Projektmitglied bin. Bisher war ja nur der kleine Protokollant noch unwürdiger als ich; da er jetzt aber eine gewisse Autorität inne hat, ist er in der Hackordnung aufgestiegen. Ranghöher als ich sind nun alle, sogar der Guppy des hinterhältigen Projektleiters Schweighofer und die Fliege, die versehentlich im Labor eingesperrt wurde.
Nun gut, zumindest kann ich nicht noch tiefer sinken …

Liebes Tagebuch!

Eigentlich hab ich mich ja mächtig gefreut auf die Osterferien, da diese eine Woche darstellen, die ich zubringen darf, ohne unter der Fuchtel des fiesen Projektleiters Schweighofer und seiner nicht minder gemeinen Stellvertreterin Mairhofer stehen zu müssen. Nur schaut es so aus, als ob daraus nichts wird.
Ich habe den Eindruck, dass ich verfolgt werde. Verfolgt von Spitzeln und Spionen des sadistischen Projektleiter-Diktators. Er will wohl sichergehen, dass ich meine Freizeit nur dem Projekt widme. Als ob das bei mir überhaupt notwendig wäre, mir ist so langweilig, dass ich mittlerweile nicht nur sämtliche Muss, Soll und Kann Bestimmungen umgesetzt habe, sondern mir noch selber Probleme ausgedacht und den Auftrag dementsprechend erweitert habe. So schafft es unsere Software mittlerweile, mit dem Benutzer über altenglische Literatur zu diskutieren, Schach zu spielen dass jeder Schachgroßmeister vor Neid erblassen würde und bringt mir außerdem jeden Morgen Frühstück und Zeitung ans Bett. Soviel aber nur nebenbei, liebes Tagebuch.
Wie gesagt, ich werde ständig überwacht. So habe ich heute Morgen in einer meiner blonden Locken ein Mikrofon entdeckt und hinter meinem Badezimmerspiegel, der, wie ich gar nicht wusste, von einer Seite durchsichtig ist, einen kleinen Raum mit Kamera und anderen überwachungstechnischen Geräten. Weiters steht seit Tagen dem Haus gegenüber ein Lieferwagen einer Kabelgesellschaft, und das obwohl alle Nachbarn Satellitenfernsehen empfangen. Wie auch anscheinend der Lieferwagen, weil auch er eine große Satellitenschüssel auf dem Dach hat. Seltsam, wenn du mich fragst, liebes Tagebuch.
Jedoch nicht so seltsam wie das Ereignis gestern, als ich versehentlich, nachdem ich mich auf die Fernbedienung gesetzt habe, plötzlich mein Wohnzimmer im Fernseher sah. Und mich (wie ich mit großen angsterfüllten Augen auf den Bildschirm starrte). Und aus mehreren Perspektiven. Und hochauflösend. Sehr Seltsam.

Liebes Tagebuch!

Der sadistische Projektleiter Schweighofer hat heute, auf Betreiben der nicht minder fiesen stellvertretenden Projektleiterin Mairhofer, eine neue Projektverordnung erlassen: Jedes Projektmitglied muss nun ständig Kleidung tragen, die dem Rang der entsprechenden Person innerhalb des Projektes entspricht.
Nun, liebes Tagebuch, für die leidbringenden Projektleiter hat sich nicht viel geändert. Schweighofer trägt weiterhin seinen Mantel aus dem Pelz von Babyrobben, seine Schuhe aus dem Leder von Kaulquappen und seinen Hut mit der Feder eines Dodos. Mairhofer hingegen hat sich für ein Kostüm aus dem Fell junger Dalmatiner entschieden, garniert mit hochhackigen Stiefeln die unverwechselbar die Farben und Zeichnungen des Fells eines Auerochsen zeigen.
Wir, die übrigen Projektmitglieder, bieten jedoch ein eher trauriges Bild: Projektsekretärin Wolf muss ein violettes Dirndkleid tragen, dass offensichtlich für eine etwas größere Person geschneidert wurde, und daher links und rechts um sie herum schlottert. Ganz im Gegensatz zu mir, der ich, als leitender Techniker, einen blau-weiß gestreiften Matrosenanzug, natürlich mit dazugehörigem Käppi, tragen muss, der mir leider viel zu klein ist und deswegen nur notdürftig mein stolzes Bäuchlein bedeckt.
Und doch habe ich es noch halbwegs gut getroffen: Gerade ist der arme Protokollant Kartusch, angetan mit einem rosaroten engen Balletanzug mit dazugehörigem grellpinken Tütü, an mir vorbeigeschlurft. Ich bin mir sicher, dass ich ihn leise weinen hörte.

Liebes Tagebuch!

Heute hat uns Projektbetreuer Hauer, der ja aus der Real Life Wirtschaft kommt, erklärt, welche Berufsaussichten wir in ebendieser haben.
Nämlich keine.
Wenn ich ehrlich sein soll, kommt dies aber nicht ganz überraschend für mich. Mit der Zeit haben sich viele Indizien dafür gehäuft:
So hat zum Beispiel unsere knuffige Projektsekretärin Wolf vor einigen Wochen eine Absage aus Sibirien erhalten, wo sie sich als Arbeitskraft zur Trockenlegung eines Moores beworben hat. Oder der schmächtige Protokollant Kartusch wurde weder vom Zoo Schönbrunn als Raubtier-Ersatz-Futter akzeptiert, noch vom Chemiepark Linz als Testperson für neue Medikamente für Ratten und Meerschweinchen.
Ich selbst, liebes Tagebuch, hatte bei meinen Bemühungen aus diesem lebensaussaugendem Projekt weg zu kommen noch den größten Erfolg zu verzeichnen. Denn die Österreichischen Bundesbahnen haben auf meine Bewerbung als Schienen-Ersatz-Ersatz-Verkehr mit einem „Wir werden ihre Bewerbung in Betracht ziehen, sofern es keine anderen Anwärter geben sollte.“ geantwortet. In Betracht ziehen, liebes Tagebuch, in Betracht ziehen! Mehr Akzeptanz hat noch kein Projektmitglied jemals erhalten dürfen. Meine Aufgabe als Schienen-Ersatz-Ersatz-Verkehr wäre es übrigens, die Passagiere der ÖBB auf meinen Schultern durch Österreich zu tragen, wenn nun einmal alle Züge und auch noch alle Ersatzbusse ausfallen sollten.
Als der gehässige Projektleiter Schweighofer und seine nicht minder gemeine Adjudantin Mairhofer Hauers Worte hörten, grinsten sie hämisch und Mairhofer klopfte dem hinterhältigen Projektleiter stolz auf die Schultern, während wir übrigen mit hängenden Schultern, den Boden mit unseren Tränen benetzend, zurück an unsere Arbeit gingen …