Ich werde geblockt. Womit, fragt der geneigte Leser? Mit Recht! Denn: Ficken.
Danke für den Screenshot, S.
Wahllose Erkenntnisse, beiläufige Einsichten.
Vor genau 10 Jahren, am 19. November 2003, saß ich in meinem kleinen Zimmerchen im Studentenheim in Hagenberg und habe meinen allerersten Blogeintrag getippt. Ich hatte damals gerade von dieser nigelnagelneuen Sache namens „Weblog“ gehört und fand die Idee ganz lustig. Wenn ich mich recht erinnere, lief das damals über Blogger.com ((Das, der geneigte Leser stelle sich das nur vor, damals noch nicht Google gehörte.)).
Heute, 3653 Tage später, finde ich die Idee noch immer ganz lustig.
Auch wenn, das ist offensichtlich und lässt sich leider nicht leugnen, meine Motivation zu Schreiben stark schwankt. An Ideen fehlt es zum Glück aber kaum, das dazugehörige Evernote-Notebook wächst ständig zu allen möglichen und unmöglichen Tageszeiten ((Zum Glück gibt es mittlerweile das allgegenwärtige Smartphone, das meinen alten, unhandlichen Schmierzettel perfekt ersetzt.)). Besonders produktiv sind diesbezüglich übrigens Alkohol-induzierte Rauschzustände, allerdings tue ich mir am Tag danach dann oft schwer, die notierten Stichworte und die damit verbundenen Gedankengänge zu verstehen.
Trotz der oft fehlender Motivation und zahlloser Wechsel des Blogging-Tools sind über die Jahre 956 Einträge zusammen gekommen. Insgesamt waren es sogar noch etwa 10 bis 20 mehr, die aber aufgrund von Beschwerden oder Drohungen gelöscht werden mussten. Zum Teil leider – das bereue ich sehr – ohne Backups. Auch einige unbezahlbare Bild- und Tondokumente sind in den Jahren aufgrund fehlender Backups verloren gegangen, immerhin gibt es aber noch den getippten Text, der dort dazu gehörte.
Zu diesen 956 Einträgen kommen noch 4.208 Kommentare geneigter Leser, zwei sehr geile Lesungen (2005 und 2010) und eine Reihe von interessanten Personen, die ich ohne mein Blog nie kennen gelernt hätte.
Nun muss ich nur noch den Kloß im Hals hinunterschlucken, die Tränen der Rührung aus den Augenwinkeln wischen und den höchst geneigten Lesern danken. Manche halten mir seit einem Jahrzehnt die Treue, manche sind erst später dazu gestoßen. Viele kenne ich aus dem wirklichen Leben, manche nur von ihren Kommentaren. Jedenfalls:
In der spannenden Reihe „Psychologie im Supermarkt“ brennt mir noch immer etwas auf der Seele, das aus mir herausgeschrieben sein will: Der menschliche Herdentrieb an den Schlangen, an denen man Einkaufswagen abholt und -stellt.
Genau, die Rede ist von jenem Ort, wo immer zahllose Menschen an allen möglichen und unmöglichen Stellen am eigenen Körper nach Kleingeld suchen. Aber darum soll es diesmal nicht gehen.
Ist dem geneigten Leser schon einmal aufgefallen, wie seltsam diese Einkaufswagenschlangen aufgebaut sind?
Die sind nämlich nie – wie man naiverweise annehmen möchte – gleichmäßig lang. Umso länger sie sich selbst überlassen werden, desto absurder werden dann gewisse Auswüchse und Einbuchtungen aus zusammenhängenden Einkaufswagen ((Ich habe übrigens extra im Duden nachgeschlagen, auf Österreichisch könnte man auch „Einkaufswägen“ schreiben.)).
Grad bei engeren Ortsverhältnissen (zB Merkur Mozartstraße) kann das dann tatsächlich in einer zeitweisen Blockade des Menschenflusses enden, vor allem in der tragischen Kombination mit Einkäufern älterer, langsamerer Semester. So weit ich weiß kam es aber zumindest beim Merkur Mozartstraße noch zu keiner dergestalt entstandenen Massenpanik. Dem Herrgott sei’s gedankt.
Wenn man das menschliche Verhalten an diesen Einkaufswagenschlangen nun etwas beobachtet, kommt man schnell auf die Ursache dieser scheinbar unerklärlichen Ausbuchtungen: Denn es scheint so, dass das Herdentier Mensch den Einkaufswagen meist just an jener Schlange wieder abstellt, die sowieso schon am längsten ist. Statt, wie es die Vernunft diktieren würde, an der kürzesten. Vermutlich in der Annahme, dass sich das so gehört?
Fast noch seltsamer ist aber, dass sogar das Gegenteil beobachtet werden kann: Einkaufswagen werden nicht der längsten Schlange entnommen, sondern oft der kürzesten. Ganz so, als ob sich die Person denken würde: „Do schau her, do san am wenigstn Wagerl, des miassn do onscheinend die bestn Wagerl sa, do nimm i mia a glei oans. Ned dass i a schlechteres Wagerl kriag ois die ondern.“
Es wäre spannend zu erfahren, ob das ein eher österreichisches Phänomen ist, oder ob es auch anderweitig zu beobachten ist. Ich bitte um sachdienliche Hinweise.
Linz, am 4. November 2013
Geliebtes Tagebuch,
ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich mir in den letzten Jahren händeringend gewünscht habe, dass ich als rebellischer Jugendlicher dem Wunsche meiner Mutter gefolgt wäre und nicht studiert hätte.
Dann wäre ich jetzt nämlich Fernfahrer in Osteuropa. Oder zweiter Assistent eines stellvertretenden Hochofenreinigers. Oder Schweinehirt. Oder im Marketing. Egal was – alles wäre besser als meine jetzige Existenz als Software Engineer.
Unser Teamleiter hat diese Woche unsere neue Entwicklungsumgebung freigegeben: Wir dürfen jetzt endlich in Visual Basic 5 programmieren, da dies mittlerweile den für uns wünschenswerten Grad an Reife und Stabilität erreicht hat.
Dieses Upgrade hat auch einen angenehmen Nebeneffekt, da wir gleichzeitig aus Gründen der Kompatibilität auf Windows 95 umsteigen mussten. Dies geht unserem Teamleiter zwar sehr gegen den Strich, denn er wettert und schimpft schon seit Monaten über die übertrieben moderne, unausgegorene Benutzeroberfläche und die krasse Unnötigkeit von 32 Bit. Vor allem dieses „Startmenü“ ist das besondere Ziel seines Spotts. Aber auch er kann sich den ändernden Zeiten nicht verschließen.
Wir sind aber grundsätzlich schon sehr froh, dass unser Teamleiter ab und an bemüht ist, die technischen Zeichen der Zeit zu erkennen und frühzeitig zu reagieren.
So kam er gestern ganz aufgekratzt und einige Minuten verspätet in unsere Teamkonferenz. Du erinnerst dich, mein geduldiges Tagebuch, das wir einem eher weniger agilen Entwicklungsmodell folgen und deswegen täglich dem Teamleiter mehrere Stunden lang unseren jeweiligen Fortschritt berichten müssen?
Jedenfalls, ganz außer Atem zeigte er uns mit Hilfe des Overheadprojektors ein neues, heißes Ding, das er gerade entdeckt hatte: Ein globales Netzwerk, über das man Daten und Informationen austauschen kann. Mit leuchtenden Augen malte er uns die unbegrenzten Möglichkeit dieser „Datenautobahn“ aus.
Auch wenn wir noch einige Jahre warten müssen, bis diese hochmoderne, cutting-edge Technologie die für uns nötige Reliabilität und Verlässlichkeit haben wird, ist es schon jetzt gut zu wissen, was die Zukunft für uns bereithalten wird.
Ich verbleibe auf ewiglich Dein,
~ saxx
Linz, am 29. Oktober 2013
Geliebtes Tagebuch,
sicher hast du dich schon gewundert, warum ich dir schon so lange nichts mehr erzählt habe. Bitte hab aber Verständnis für diese Vernachlässigung, denn das liegt nur daran, dass mein Beruf auch noch mein letztes Stückchen Kraft aufbraucht.
Ach, in welch schönen Farben wurde mir das Berufsleben noch während des Studiums ausgemalt – Erfüllung im Job und Abwechslung wurde versprochen, Geld, Autos und Frauen. Und ich bin darauf herein gefallen.
Weißt du, geliebtes Tagebuch, Ich verbringe meine Tage damit, Software zu schreiben; und meine Nächte meistens auf meinem tränenbenetzten Polster vor Erschöpfung eindösend. Tagein, tagaus muss ich mit 24 anderen Programmierern meist bangladeschischer Herkunft den Schreibtisch teilen. Immerhin hat mittlerweile jeder von uns eine eigene Tastatur und eine eigene Maus, seit uns eine Hauptschule aus Mitleid ihre alte IT-Ausrüstung geschenkt hat.
Sollten wir den nächsten Release rechtzeitig fertig bekommen, hat uns der Teamleiter aber sogar einen funktionierenden Heizkörper versprochen. Unangenehm nur, dass dieser Release erst für den nächsten Sommer geplant ist. Sommer 2019.
Unser Teamleiter ist nämlich vom alten Schlag. Wortmeldungen, die auch nur entfernt in die Richtung „agile Entwicklung“ gehen, belohnt er entweder mit dem bösen Blick oder einer Ohrfeige. Den Kollegen, der einmal „Scrum“ erwähnt hat, haben wir seit dem nicht wieder gesehen. Überhaupt ist unser Teamleiter sogar Meinung, dass auch „Wasserfall“ noch zu wild, unplanbar, überstürzt und ad-hoc ist. Wir verfolgen daher ein Entwicklungsmodell namens „breites, ruhiges Stromdelta“.
Soweit ich das nach gut sechs Jahren im Unternehmen sagen kann, wird unser nächster Release deswegen auch unser erster sein. Der Teamleiter ist aber offenbar guter Hoffnung, dass wir den angepeilten, durchaus ambitionierten Termin tatsächlich halten können.
Denn schließlich haben sich die Kunden-Anforderungen, deren erste Version aus dem Jahr 1992 stammt, nun schon seit mehreren Jahre nicht mehr geändert. Überhaupt haben wir schon seit einiger Zeit nichts mehr von unserem Auftraggeber gehört. Der Teamleiter deutet dies als gutes Zeichen und Lob für seinen rabiaten Führungsstil, ich vermute aber eine Insolvenz, die man uns bloß mitzuteilen vergessen hat.
Ich verbleibe, mein geliebtes Tagebuch, und bedecke dich mit heißen Küssen,
~ saxx
Vor einigen Monaten wurde ich auf ein „Konzept“ aufmerksam, dass ich recht spannend finde, und das sich sogar im Alltagsgebrauch als durchaus nützlich erweist: Dem Survivorship Bias.
Hierbei handelt es sich um jene Tendenz, sich bei der Bewertung einer Situation immer auf die „Überlebenden“ zu konzentrieren und alles andere zu übersehen beziehungsweise nicht zu berücksichtigen – um in Folge unbewusst die falschen Schlüsse zu ziehen. Hierbei kann es sich um Menschen handeln, aber auch um Unternehmen, Ideen, was auch immer.
Ein Beispiel, an dem ich alter Historiker mir die Sache besonders gut merke:
Im zweiten Weltkrieg haben die Alliierten Wege gesucht, um die extrem hohen Verlustraten der eigenen Bomberflotten zu verkleinern. Dazu haben sie die wenigen überlebenden Bomber analysiert und schnell festgestellt, dass vor allem an den Flügeln, rund um den Heckschützen und entlang des Rumpfes die meisten Einschusslöcher waren. Die scheinbar logische Maßnahme der Bomberkonstrukteure war in Folge, an genau diesen Stellen besonders dicke und schwere Panzerung anzubringen.
Das war aber ein Fehler. Denn die Einschusslöcher zeigten nicht die Schwachstellen der Bomber, sondern wenig intuitiv deren Stärken. Denn immerhin waren dies bloß Löcher und der Bomber hat es trotzdem noch zurück nach Hause geschafft. Treffer an anderen Stellen haben sich viel fataler ausgewirkt, denn die haben die Bomber abstürzen lassen.
Ein typischer Fall von Survivorship Bias, bei dem man sich nur auf die Überlebenden konzentriert hat und in Folge die falschen Schlüsse gezogen hat.
Ein anderes Beispiel, das aktuell besonders in der Technologie-Branche spannend ist und viel zu wenig Beachtung findet: Überall liest man die Tage von wahnsinnig erfolgreichen Internet Start-Ups, von Studenten oder sonstigen Genies, die es quasi über Nacht zu Millionären gebracht haben, die nach wenigen Monaten Arbeit für viel Geld von Google aufgekauft wurden, die sich mit 25 zur Ruhe setzen können.
Und ja, solche Menschen gibt es sogar tatsächlich. Was aber in diesem Zusammenhang gerne vergessen wird, das sind die anderen. Nämlich die, die es trotz guter Idee und jahrelanger harter Arbeit nicht geschafft haben und die jetzt ausgebrannt und bankrott vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Und die wenigen, die es mit ihren Start-Ups wirklich schaffen, sind nur ein Bruchteil derjenigen, die mehr oder weniger tragisch untergehen. Nur hört und liest man halt üblicherweise nur von den erfolgreichen Überlebenden, und die sich aufdrängende Schlussfolgerung „Startup equals Success equals Money“ ist ein typischer Fall von Survivorship Bias.
Ein letztes Beispiel: Mit verklärtem Blick erinnert sich so manches ältere Semester an die gute alte Zeit, vor allem an die Autos. Ach, die Autos, das war damals noch richtige gute Qualitätsarbeit, nicht Schrott wie heutzutage, der schon nach wenigen Jahren den Geist aufgibt. Man muss ja schließlich nur einen Blick auf den VW Käfer werfen – vor 70 Jahren entworfen, vor 50 oder 60 Jahren gebaut, und schnurrt noch immer wie ein Kätzchen.
Solche Qualität gab es halt nur früher. Stimmt, der VW Käfer ist ein Erfolg, an den kaum jemand heran kommt. Vor allem nicht die Hunderten anderen Automodelle und -entwürfe aus der selben Zeit, nach denen heute kein Hahn mehr kräht. Aus dem Käfer also auf eine im Vergleich zu heute überlegene deutsche Nachkriegs-Ingenieurskunst zu schließen ist … genau, Survivorship Bias.
Genug der einprägsamen Geschichtchen. Im ersten Absatz habe ich geschrieben, dass das Wissen um den Survivorship Bias auch im alltäglichen Gebrauch nützlich ist. Klar, einerseits irgendwie schon auch dafür, so manche Sache anders und besser zu bewerten. Viel mehr aber, um Diskussionen zu gewinnen.
Denn mit etwas Mühe und Kreativität findet man fast überall so etwas wie Survivorship Bias. Und es ist unheimlich effektiv, eine Diskussion abzuwürgen, indem man in den Raum wirft: „Hmm, ich glaube, du hast in deiner Schlussfolgerung eines nicht berücksichtigt. Bist du dir ganz sicher, dass du nicht im Einfluss von etwas Survivorship Bias stehst?“
Das hat dann nämlich eine von zwei Auswirkungen zur Folge:
In beiden Fällen geht man schnell als Sieger aus der Diskussion. Schlussfolgerung: Ein Hinweis auf Survivorship Bias ist fast genau so effektiv wie einer auf Godwins Law. Unfehlbar. Oder, hm hmm hmmm, ist das jetzt schon wieder Survivorship Bias?
Kurz nach der Nationalratswahl hätte ich noch eine hervorragende Idee für ein verspätetes Wahlzuckerl, das aber ursicher ganz wirklich eh gar keines ist, echt jetzt.
Als weitgehend zivilisierter Mensch habe ich wie viele andere mit einer unerträglichen Eigenheit des rückständigen traditionellen Österreichs zu kämpfen: Den Ladenöffnungszeiten.
Fast überall auf der Welt funktioniert es nämlich ganz gut, dass Supermärkte auch spätabends oder an Sonntagen geöffnet haben. Nur in Österreich zetern die Gewerkschaften ((Es war ja schon fast amüsant, was sich die Gewerkschaften wieder einmal im Hinblick auf die mittlerweile gescheiterte Daily-Kette geleistet hat: Zuerst mit allerlei Tricks und Kniffen die Sonntagsöffnung unterbinden, nur um nach den erzwungenen Schließungen vorwurfsvoll auf die vielen neuen Arbeitslosen zu verweisen.)) und die meisten Parteien schon bei einer vorsichtigen Erwähnung etwas von „undenkbar“, „unvorstellbar“, „es war ja schon immer so“ und malen Teufel beginnend von Arbeitnehmerausbeutung über Sklavenhaltung bis hin zur sofortigen Anarchie a la Mad Max an die Wand.
Nun gut, dass die Gewerkschaften zuerst einmal die eigenen Interessen vertreten, dann die der verbandelten Parteien, und dann vielleicht auch mal die der Arbeitnehmer ist allgemein bekannt.
Ich bin im Gegensatz dazu hochkonstruktiv und hätte ich mir einen salomonischen Vorschlag für ein neues Ladenöffnungsgesetz überlegt, der den Schutz der Angestellten sowie die Wünsche der Konsumenten vereint:
Jeder Laden bzw. Supermarkt darf pro Woche bis zu 110 Stunden geöffnet haben (also in etwa die gleiche Summe wie auch jetzt schon bei Supermärkten üblich). Wie diese Stunden aufgeteilt sind, ist allerdings frei wählbar. Arbeitszeit außerhalb der üblichen Geschäftszeiten sind weiterhin als 50- oder 100-prozentige Überstunden abzugleichen.
Durch diese Öffnung ((Pun intended.)) wird langfristig innerhalb eines gewissen Umkreises ein optimiertes Equlibrium erreicht. Denn gewisse Geschäfte werden dann wohl Sonntags und Nachts aufsperren, dafür vielleicht Vormittags geschlossen haben, während andere die jetzigen Öffnungszeiten fortführen werden.
Überhaupt wird durch dieses flexible Modell schnell unbewiesene Argumentation wie „Keiner will am Sonntag einkaufen“ vs. „Jeder will am Sonntag einkaufen“ aus der Welt geschafft. Denn die betroffenen Geschäfte werden selbst am schnellsten merken, wann sie den meisten Umsatz machen – und dementsprechend geöffnet halten. Die Konsumenten stimmen also selbst höchst direkt- und basisdemokratisch ((Nicht einmal die dicke Mauer Neugebauer dürfte es schaffen, sich ein Argument gegen „Basisdemokratie“ aus der Nase zu ziehen.)) mit ihrem Einkaufsverhalten über die Ladenöffnungszeiten ab.
Und am mehr als gesättigten österreichischen Einzelhandels-Markt wäre Potential für effektive Alleinstellungsmerkmale geschaffen: Mitternächtliches Schuh-Shopping für schlaflose Managerinnen? Frisches Gemüse für den Sonntagsbraten? Das ausgegangene Bier für die Samstag-Nacht-Party? Alles kein Problem – irgendwo in der Nähe wird sich ein findiger Einzelhändler diese Marktlücke nicht nehmen lassen.
Nicht nur beim Billa hab ich Muße, um meine Gedanken schweifen zu lassen. Auch liegend beim Zahnarzt, die Beine weiter oben gelagert als der Kopf und den Mund schmerzhaft weit aufgerissen, hat man viel Zeit, über die Welt nachzudenken.
Wenn man nicht gerade mit verkrampften Händen und angsterfüllten Augen in das herzlose Gesicht des Zahnarztes blickt. Oder, um das hohe Sirren im eigenen Mund zu ignorieren, minutenlang bewegungslos auf die Decke über dem Zahnarztstuhl starrt.
Ah, die Zahnarztdecke. Kaum ein Flecken auf der Erde, der mehr Leid erleben, kaum ein Ort, der mehr Schmerzen mit ansehen musste. Direkt im Blickfeld des Gefolterten, nur leicht verdeckt von dieser seltsamen Lampe und den brutalen, kalten Augen des Zahnarztes hängen diese Zahnarztdecken aber relativ unbeeindruckt den ganzen Tag nur so rum, leben geradezu ziellos in den Tag hinein.
Das müsste aber nicht so sein! Die Decken könnten durchaus auch ihren sinnvollen Beitrag an der Gesellschaft leisten. Zur Ablenkung des Patienten beispielsweise; ein Bildschirm mit Kanzlerduellen in Endlosschleife dürfte etwaige unfreundliche Emotionen gegen den am Mund hantierenden Aggressor umgehend umleiten und auf würdigere Ziele übertragen.
Oder eine Kamera, die in den Momenten höchster Pein ein Foto macht, um es ähnlich einer Achterbahn beim Ausgang für einen nicht unbedeutenden Obulus käuflich zum Erwerb anzubieten. Als dezentes Erinnerungsstück für neben die Zahnbürste, um zukünftig etwas mehr Bürst-Motivation zu erzeugen. Und um den mageren Verdienst der armen Zahnärzte etwas aufzubessern.
Oder warum nicht gleich, ebenfalls zur Einkommensverbesserung der am Hungertuch nagenden Mediziner, um Reklame zu machen. Werbung am Zahnarzt-Plafond.
Ich für meinen Teil würde in den Momenten, an denen der Bohrer an meinem Nerv streift, so ziemlich alles kaufen, nur um nie, nie wieder hier liegen zu müssen.
Die teuerste Zahnpasta, Mundwasser, sogar dieses fingereinschneidende Zeugs namens Zahnseide – immer nur her damit, meine Kreditkarte ist in meiner rechten hinteren Hosentasche. Oh, es ist ein Blanko-Wechsel nötig? Gern, kein Problem, darf ich nur bitte, bitte aufstehen?!
Ich bin zwar, denke ich, kein Besserwiss-Grüner, der mit erhobenem Zeigefinger den unwilligen Nachbarn erklärt, wie sie den Müll zu trennen und den Warmwasserverbrauch zu minimieren haben ((Ich hatte tatsächlich mal so einen Nachbern.)).
Wenn ich mir aber im lokalen Billa die Beine in den Bauch stehe, während ich auf die Kollegen warten muss, die offenbar die Wursttheke leerräumen, dann fallen mir schon Dinge auf.
Dinge wie dieses da:
Ein wunderschönes Bild aus Kaprun. Vom Pumpspeicherkraftwerk Kaprun, genauer gesagt. Also von einer jener Alpenbatterien, die regelmäßig mit Strom aus Kohle- und Atomkraftwerken aufgeladen werden. Und die der Verbund trotzdem als „nachhaltig“ und „rein erneuerbar“ bewerben darf.
Das ist dem aufmerksamen geneigten Leser zwar sicher schon bekannt, zur Sicherheit aber auch nochmal nachzulesen.